Vorträge über das Organon der Heilkunst - Zum Verständnis des § 70 - Teil 1

Vorträge über das Organon der Heilkunst - Zum Verständnis des § 70 - Teil 1

Author: 
Leela D'Souza

Diese Serie ist dafür vorgesehen, Dr. Bhatias Kommentar zu § 1 des Organon zu ergänzen, welcher gut aufgenommen wurde. Er erinnerte mich an meine frühe homöopathische Ausbildung im CMPH-Medical College, wo jedes Wort von §§ 1-70 bedeutungsschwanger erklärt wurde. Dr. Hahnemann wählte seine Worte mit Weitblick und geistiger Tiefe, um uns Homöopathen 200 Jahre später immer noch zu vermitteln, dass so solche Prinzipien und Philosophien ewig gültig bleiben, was auch immer sich an sozialen, kulturellen oder wissenschaftlichen Phänomenen ändert. Es ist unsere Aufgabe, diese Paragrafen innerhalb des gegenwärtigen Szenarios zu interpretieren, ohne von den grundlegenden homöopathischen Prinzipien abzuweichen, wohl, aber um die Bereiche aufzuwerten, die der Erläuterung bedürfen.

Leider wurde es vernachlässigt, die Paragrafen ab § 71 zu lehren und dies sind die eigentlichen Paragrafen, die wir brauchen, damit wir unsere sich entwickelnde Praxis und Erfahrung darauf aufbauen können. Wir erkannten, dass es online für den Neohomöopathen keinen Kommentar gab, um die Weisheit Hahnemanns zu assimilieren. Zu oft entwickeln sich aus unseren klinischen Erfahrungen Fragen, auf die es keine Antworten zu geben scheint. Wir suchen danach, während die meisten Antworten schon im Organon oder in den Chronischen Krankheiten stehen. Gelegentlich vertrauen wir auf neue 'Interpretationen' der homöopathischen Konzepte ohne vorhergehendes Verständnis der Grundprinzipien und Interpretationen, die Hahnemann ursprünglich vorsah. Kein Kommentar zum Organon ist erschöpfend oder vollständig, aber wir hoffen, Ihnen durch diese Serie adäquate Hirnnahrung zu servieren.

Der § 70 ist eine Zusammenfassung von Hahnemanns theoretischer Weisheit der §§ 1-69: Das homöopathische System der Medizin.

"...  daß alles, was der Arzt wirklich Krankhaftes und zu Heilendes an Krankheiten finden kann, bloß in dem Zustande und den Beschwerden des Kranken und den an ihm sinnlich wahrnehmbaren Veränderungen seines Befindens, mit einem Worte, bloß in der Gesammtheit derjenigen Symptome bestehe, durch welche die Krankheit die, zu ihrer Hülfe geeignete Arznei fordert, hingegen jede ihr angedichtete innere Ursache, verborgene Beschaffenheit, oder ein eingebildeter, materieller Krankheits-Stoff, ein nichtiger Traum sei: ...“

Die erste Pflicht, die wir als Homöopathen haben, ist das Studium dessen, was wirklich an krankhaften Zeichen vorliegt, d.h., welches die Krankheit ist. [§§ 3-7] Dies ist eine sehr wichtige Wahrnehmung, die man erst über die Zeit erlernt und die sich dann genauer mit der Erfahrung entwickelt. Wir sehen eine Myriade von Symptomen, Krankheiten, die mit normalen Erscheinungen und der Persönlichkeit des Kranken vermischt sind. Was ist es, was krankhaft ist, warum ist dies wichtig und für einen Homöopathen von Interesse?

Bönninghausen lehrte das Konzept des vollständigen Symptoms nach Lage, Empfindung, Modalität und Begleiterscheinungen (LEMB). Wenn Symptome unvollständig waren, sagte er, könne man eine Modalität und Empfindung mit der einer anderen Lage ersetzen, die gleichzeitig vorlag. Dies ist eine Weisheit, die Kent kritisiert hatte, aber sie wird immer noch in entsprechenden klinischen Situationen als klinisch und logisch verlässlich bestätigt. Wir müssen erfahren, welche diese klinischen Situationen sind, in denen Bönninghausens Methodologie sehr erfolgreich ist. Dr. C. M. Boger entwickelte dies dazu weiter, die Pathogenese von Krankheit und von Mitteln zu verstehen, ein weiteres unentbehrliches Werkzeug für uns in der gegenwärtigen homöopathischen Verschreibungspraxis.

Ein neuerer Versuch der Analyse der Hauptbeschwerde um das Simillimum ist die Suche nach Rajan Sankaran nach der Vital-Empfindung. Mit Rücksicht auf Rajans neueste Arbeit, in der er vorschlägt, dass sie eine Extrapolation von Bönninghausens Fokus ist, ist meine Frage: Muss man tief in den Vital-Empfindungen jeden Falles nachforschen, wenn das Simillimum oder eine Serie von Simillima einfacher durch genaue Beobachtung und der Analyse der Merkmale der LEMB-Hauptbeschwerde selbst gefunden werden können? Dieser Prozess dauert normalerweise für einen geübten Homöopathen weniger als 15 Minuten!

Trotz neulicher ablehnender Kritiken gegen sie behaupte ich, dass viele von Rajans und Scholtens Konzepten und glänzender Einblicke ihren berechtigten Platz, insbesonders im Bereich der homöopathischen Psychologie, haben. Rajans früheres Konzept vom Kern der Einbildung, wenn es von physischen Merkmalen unterstützt wird, ist sehr zuverlässig für die Wahl des Simillimums. Scholtens synthetische Analyse, die auf dem Periodensystem basiert, ist in schwierigen Fällen sehr hilfreich, wenn sie von adäquaten traditionellen Prüfungscharakteristiken (von einzelnen Elementen eines Salzes) unterstützt wird.

Kent riet, Begleiterscheinungen des Gemüts, dem gestörten Geisteszustand große Bedeutung in der Hierarchie bei der Wahl möglicher Mittel einzuräumen. Dies ist weitläufig akzeptiert und in vielen Fällen gut anwendbar. Ja, jene, die diesen Einblick haben [§216], können sich ihrer Wahl des Similimums noch sicherer sein. Was hier zählt, ist, dass der Gemütszustand charakteristisch genug ist, damit ihm diese Wichtigkeit eingeräumt werden kann, die erforderlich ist, um eine Heilung zu ermöglichen. Uns daran zu versuchen sollte nicht auf Kosten unserer Beobachtungen der physischen Charakteristiken und physischen Umstände gehen, die der Heilung bedürfen.

Die GESAMTHEIT DER SYMPTOME [§ 7], auf die sich Hahnemann dann bezieht, ist ein Gleichgewicht, das von den einzelnen Merkmalen des Falles bestimmt wird. So, wie der Fall sich darstellt, entscheidet sich die angewandte Methodik. Streben Sie danach, unterschiedliche zuverlässige Methodologien für die genaue Fallanalyse zu erlernen. Dann seien Sie bestrebt das zu suchen, was charakteristisch ist, beides, das Geistige und das Physische. Erfassen Sie den Gemütszustand durch intensive Wahrnehmung. Verstehen Sie, was individuell und eigentümlich im physischen Ausdruck ist. Fassen Sie diese gewichtete Wahrnehmung zu einem Symptomenbild zusammen; dies bildet die Gesamtheit.

Die Wahl fällt auf das Mittel, das diese Gesamtheit mit einer Betonung der meisten Merkmale abdeckt (entweder physisch oder geistig) und die eindeutig innerhalb des Bereichs des Mittels liegen. Dies ist zu etwa 80% durch klinische Arbeit möglich. 20% erfordern eher eine neuartige Methodologie oder neue Wege, das Similimum wahrzunehmen. Noch wichtiger ist, dass jeder Fall eine klare, zuverlässige philosophische Basis der Heilrichtung im homöopathischen Fallmanagement erfordert.    In den §§ 71–291 führt Hahnemann unzählige Fälle von klinischen Situationen und die entsprechenden philosophischen Anleitungen im Einzelnen auf, einschließlich eines gründlichen Verständnisses seines Konzepts über die Miasmen. Wir nehmen Sie mit auf eine Reise, dies zu lernen.

Etwas Kritik wird in § 70 erhoben, die Hahnemann hauptsächlich gegen das empirische allopathische System seiner Tage richtete:

"...hingegen jede ihr angedichtete innere Ursache, verborgene Beschaffenheit, oder ein eingebildeter, materieller Krankheits-Stoff, ein nichtiger Traum sei": Dies bezieht sich auf die Vorstellung der alten Schule, dass die Ursache für äußere Symptome in einer inneren verdorbenen Flüssigkeit in Lymphgefäßen und Blut oder in irgendeinem Krankheitserreger usw. liegt ("Materia peccans") [Einleitung: Fußnote 8], was eine "rationale Behandlungsart, tolle causum" erfordert. Die moderne Medizin fuhr leider mit dieser materialistischen Idee bis heute fort, und verursacht so nur partielle Heilungen und ein unglaubliches Maß an Unterdrückung ..., dennoch wurde Krankheit von ihr offensichtlich weder rational noch anderweitig entfernt.

In seiner überzeugend vorgetragenen Einleitung zerstreut Hahnemann die einseitige (reduktionistische) Idee, gegen die Kent ebenfalls kämpfte, und dass die Ursache für Krankheit nicht materiell sein konnte, weil die Krankheit ein dynamischer Ausdruck einer gestörten Lebenskraft war. Diese Störung ergab sich aus verschiedenen Einflüssen auf die Lebenskraft, von denen einige Materia peccans (wie Bakterien, Viren, usw.; das akute und chronische Miasma) und ihre dynamischen Einflüsse sind, die Umgebung, Medikamente, fortwährende emotionale Störungen und Unpässlichkeiten, ererbtes Miasma, usw.

Wenn wir als Homöopathen nach einer Krankheit suchen, wo auf der Skala befinden wir uns? Sind wir einerseits Materialisten wie die althergebrachten Empiristen und lindern nur gemäß der Pathologie? Oder tendieren wir andererseits zu der anderen Polarität, den spekulierenden Träumern und suchen beliebige Gemütszustände ohne adäquate Ausbildung, weder in Psychologie noch in psychologischer Analysemethodik (homöopathisch oder sonst wie)?

"...daß diese Befindens-Verstimmung, die wir Krankheit nennen, bloß durch eine andere Befindens- Umstimmung der Lebenskraft zur Gesundheit gebracht werden könne, mittels Arzneien, deren einzige Heilkraft folglich nur in Veränderung des Menschenbefindens, das ist, in eigenthümlicher Erregung krankhafter Symptome bestehen kann, und daß dieses am deutlichsten und reinsten beim Probiren derselben an gesunden Körpern erkannt wird ... "

Sobald der Schritt der Krankheitserkennung abgeschlossen ist, bringen wir diese danach mit einem Mittel gemäß eines Similimums in Übereinstimmung. Die angemessene Anpassung erfordert ein Verständnis für unsere Mittel. Dieses Verständnis sollte nicht einfach auf Spekulationen über deren Symptome oder der Doktrin der Signaturen basieren, obwohl dieses eine Rolle spielt. Wir verstehen das Mittel durch seine charakteristischen Expressionen sowohl im Körper, als auch im Gemüt. Von jedem Mittel wird erwartet, dass es vollständig geprüft ist, eine Aufgabe und Pflicht, die auf uns alle in der homöopathischen Gemeinschaft zukommt.

Im Anschluss an die Arzneimittelprüfungen (heutiger Begriff: homöopathische pathogenetische Versuche), brauchen wir eine ehrliche Beantwortung und Kompilation klinischer Anwendungen dieses Mittels. Heute besteht ein Bedarf nach einer wissenschaftlichen Standardisierung, wobei man aber bedenken muss, dass eine Überstandardisierung der Prüfungsprotokolle das Potenzial besitzt, wichtige Informationen zu verlieren. Unsere Materia medica ist angewachsen, aber Ergänzungen, Informationen aus Arzneimittelprüfungen und klinische Informationen sind fragwürdig geworden. Heilung ist ein nicht richtig verstandenes Wort. Dies vorausgesetzt, wie zuverlässig sind "klinische Bestätigungen" von Arzneimittelprüfungen?

Wir müssen zum Organon zurückkehren, zurückkehren zu unseren Wurzeln. Wir müssen unsere Grundlagen um die feststehenden Prinzipien herum verfestigen. Sobald wir tiefe Wurzeln haben wachsen lassen, sind wir dazu fähig, einen verlässlichen homöopathischen Baum des Wissens zu stützen. Dann können wir unseren Verstand für heute verfügbare neue Informationen öffnen: für unsere wachsende Materia medica; für neue Methodologien; für neuere Ideen, sowohl wissenschaftlichen als auch homöopathischen. Wir können darauf abzielen, einen klaren Sinn dafür zu entwickeln, was innerhalb homöopathischer Prinzipien geeignet ist und was nicht. Auf diese Art können wir das Reine und Zuverlässige für den Fortschritt in der Homöopathie und für die wahre Heilung der Menschheit bewahren, während man ignoriert, was nicht rein ist; mit Wahrnehmung anstatt mit engstirnigen Behauptungen.

Hahnemann fährt im restlichen Paragrafen fort, die Torheit aller anderen Ansätze zur Heilung von Krankheiten außer dem Ähnlichkeitsgesetz zu erklären und im nächsten Artikel werden wir Weiteres erfahren, was seine Weisheit uns vermachte.

Bibliographie:

1. Hahnemann, Samuel; Organon of Medicine

2. Hahnemann Samuel; Theory of Chronic Diseases

3. Allen T.F; Boenninghausan's Therpeutic Pocket Book

4. Boger, CM; A Synoptic Key of the Materia Medica

5. Sankaran, Rajan; The Sensation of Homeopathy

6. Sankaran, Rajan; The System of Homeopathy

7. Scholten, Ian; Homeopathy and the Elements

8. Kent, James T; Lectures on Homeopathic Philosophy

9. Dudgeon RE, Boericke William; Organon of Medicine by Samuel Hahnemann, Fifth and Sixth Edition Combined.