NEUES ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIK KWIBUS VERLAG BAND I (2006)
-- Von Siegfried Letzel
Seit Oktober 2006 befindet sich eine neue Homöopathie-Zeitschrift auf dem Markt.
Parallelen zwischen aktuellen homöopathischen Schriften, sowohl in Zeitschriften- als auch in Buchform und dem Fernsehen drängen sich mir auf, was sich nicht unbedingt mit ‚Masse statt Klasse’ grob umschreiben lässt, sondern im Falle Homöopathie eher mit ‚massig statt klassisch’.
Die Homöopathie hat in der heutigen Zeit viele Gesichter. Man muss doch nur einmal in ein gut sortiertes Buchgeschäft gehen und sich dort in den Regalen mit homöopathischer Literatur umsehen, oder die Webseiten des Homöopathiebuch-Versandhandels besuchen. Eine schwer überschaubare Menge von Lehrbüchern und Einführungsliteratur zur Homöopathie findet sich hier. Alt wie neu. Mehr oder weniger nah an die ursprüngliche homöopathische Lehre und Literatur anlehnend.
Für Novizen wird es immer schwieriger, den richtigen Einstieg in die Materie zu finden. Wohl dem, der in einer ‚richtigen’ Schule eine gute, fundierte und originalquellen-basierte Grundausbildung genießt.
Nun gibt es mittlerweile glücklicherweise ernste Bestrebungen, Ausbildung und Qualifikation in Homöopathie zu zertifizieren – unter heftiger Kritik jener, die eine „andere“ Vorstellung von Homöopathie haben und sich einer solchen ‚Reglementierung’ nicht unterwerfen wollen.
Ist Homöopathie nicht immer Homöopathie? Sind Homöopathen denn nicht immer Homöopathen? Sind Homöopathen der Schulen Sehgals, Sankarans, Vithoulkas’, Roys und wessen auch immer Vertreter der Homöopathie?
EINER Homöopathie, so wie der Name in der Allgemeinheit heute benutzt wird, ganz sicher. Denn der Begriff der Homöopathie ist nicht in der Weise geschützt, als dass nur die ursprüngliche Form der homöopathischen Heilkunst als solche bezeichnet werden darf.
Wie nun soll sich ein neuer Student in dieser Vielfalt homöopathischer Philosophien zurechtfinden, um sie nachvollziehbar anwenden zu lernen?
Der Student darf nicht den Fehler machen, „von hinten anzufangen“ zu lernen.
Ohne ein fundiertes Basiswissen und –verständnis kann man nicht lernen, richtig mit den modernen Philosophien umzugehen.
Wie nun kann sich ein Student der Homöopathie ein fundiertes Basiswissen aneignen und vor allem auch richtig verstehen? Natürlich, man muss zunächst Dr. Samuel Hahnemanns Grundwerke studieren und die Materia medica und das Repertorium richtig anwenden lernen. Aber wer kann denn schon alleine mit einem solchen Material Hahnemanns Praxis richtig nachvollziehen? Wohl niemand!
Denn jeder Student interpretiert das Gelernte für sich individuell. Welche Interpretationen sind nun die Richtigen? Um dies herauszufinden, ist das Studium akzessorischer Ur-Literatur unumgänglich. Und auch dies bedarf der Anleitung. Und an dieser Stelle kann ich nun die Brücke zur Besprechung des jetzt neu erschienenen Periodikums „Neues Archiv für Homöopathik“ des Kwibus Verlages schlagen.
Denn was wir hier vorfinden, kann sich sehr wohl zu dem entwickeln, was wir als Lernhilfe für die reine und ursprüngliche Homöopathie bisher vermisst haben.
Schauen wir uns das Heft einmal an: Es kommt recht unscheinbar daher. Hochglanzcover, 24 X 16,5 cm Außenmaß, 50 Seiten. Es passt also leicht in jedes Bücherregal. Erscheinen wird das Neue Archiv viermal jährlich und der Bezugspreis beläuft sich bei 52,- € im Jahr. Studenten, auch Heilpraktikeranwärter und Schüler von Homöopathieschulen bezahlen nur 29,- €. Ein Einzelheft kann für 15,- € geordert werden.
Vier Heftchen für 52,- €. Das liest sich im ersten Moment nicht gerade günstig. Letztendlich entspricht es aber nur 1,- € pro Woche. Was erwarten wir für diesen Betrag, bzw. was erhalten wir dafür?
Grundsätzlich finden Sie in dieser neuen Zeitschrift Beiträge zur Lehre Hahnemanns in ihrer ursprünglichen, echten und unverfälschten Form, und Beiträge zu Jahr, v. Bönninghausen, Hering, Stapf, und direkten Schülern, Mitarbeitern und engen Freunden Hahnemanns.
Wie Sie auf der Webseite des Kwibus Verlages nachlesen können, schreibt Frau Heike Westhofen in Ihrem Editorial zur Erstausgabe: “... Wir bieten Ihnen gebündelt seriöse und anspruchsvolle Fachbeiträge zu dem Thema, das uns am meisten bewegt: der ursprünglichen Homöopathie Samuel Hahnemanns. ... Als Herausgeberin stelle ich mir auch die Frage, was Sie als Leser von unserer neuen Publikation erwarten. Es gibt sicher viele verschiedene Beweggründe, Abonnent zu werden. Doch ich vermute, dass eine grundsätzliche Motivation Sie, unsere Leserinnen und Leser, vereint: Sie wollen sich über Ihre praktische homöopathische Arbeit hinaus ernsthaft mit theoretischen und methodischen Fragen der genuinen homöopathischen Heilkunst beschäftigen. Dieser Wunsch verbindet Sie mit den Herausgebern, der Schriftleitung und den weiteren zukünftigen Autoren unserer Zeitschrift.“
‚Genuine homöopathische Heilkunst’? Was man darunter versteht, erklärt Herr Christian Meinhard in seinem ersten Artikel unter der Rubrik „Methodik“. Und hier fällt dem Leser sofort sehr angenehm auf, dass jeder Artikel, wie in wissenschaftlichen Arbeiten heute üblich, mit einer Zusammenfassung und den Schlüsselwörtern eingeführt wird.
So fasst Herr Meinhard zusammen: „Aus dem Methodenpluralismus heutiger <<Klassischer Homöopathie>> wird die Rückkehr zur genuinen Homöopathie Samuel Hahnemanns hergeleitet und das Selbstverständnis einer wieder zu etablierenden <<Genuinen Homöopathie>> bestimmt. Zugleich werden Ziele und Aufgaben der genuinen Homöopathie vorgestellt“. Ausgehend von einem historischen Überblick und der gegenwärtigen Situation der Homöopathie erklärt Meinhard die Bedeutung und den Inhalt von ‚genuin’, erläutert das Kernstück der Genuinen Homöopathie und deren Aufgaben.
Die Rubrik Methodik füllt in dieser Ausgabe Herr Bernhard Möller mit dem ersten Teil eines Falles Dr. Hahnemanns aus dem Jahre 1837 (oder etwas später). Die Erstkonsultation mit darauf folgender „klassischer“ Fallanalyse (häufige gegenwärtige Methode) wird mit der heutigen Herangehensweise mithilfe Bönninghausens Methodik und Repertorien verglichen. Dann beschreibt Herr Möller Hahnemanns Arbeitsweise. Der Teil 2 verspricht uns, Näheres über die Methodik Hahnemanns für seine Arzneimittelwahl zu verraten. Der sachliche und emotionslose Vergleich ist hervorragend dafür geeignet, dass sich die Leser Gedanken über ihre eigene Methodik innerhalb der vorgestellten Arbeitsweisen machen und sie so besser beurteilen können.
Herr Stefan Reis hat sich der Rubrik ‚Kasuistik’ angenommen. Genauer gesagt, geht es ihm in seinem Artikel um einen ‚kasuistischen Beitrag zur Entwicklung der Materia medica’. Aus seiner Zusammenfassung: „Anhand eines Falles aus der älteren homöopathischen Literatur wird nachvollzogen und erörtert, wie die homöopathische Arzneimittellehre durch eine Tradierung von Fehlern unzuverlässig wird“. Inhaltlich geht es hier im Speziellen um SILICEA und um die uns allen aus der Literatur bekannten Furcht vor Nadeln. Ein herrlicher Aufsatz über den Ursprung dieses Symptoms und dessen ‚Erfolgsstory’.
Herr Dr. med. Steffen Rabe schreibt in der Sektion Materia medica über ‚Charakteristische Zeichen bei G.H.G. Jahr’, die er in dem zweiten Teil dieses Aufsatzes auch diskutiert. Diese Arbeit widmet sich dem Thema ‚eigenheitliche’ Zeichen und Symptome (§ 153, Organon der Heilkunst) nach Jahrs Verständnis. Hier werden wesentliche von charakteristischen Zeichen unterschieden, unter dem Vorbehalt, dass beide Arten von Zeichen nicht absolut voneinander getrennt werden können. Wo sind nun in einem Krankheitsfall die echt charakteristischen, arzneimittelwahlbestimmenden Anzeichen zu suchen? Herr Dr. Rabe geht anschaulich darauf ein, gibt auch ein medizinisches Beispiel. Eingegangen wird auch auf die charakteristischen Zeichen eines Arzneimittels (auch wieder unter Abgrenzung zu dessen wesentlichen Zeichen und Symptomen) und aus welchen Elementen sie sich zusammensetzen. Dies kommt einer Definition äußerst nahe. Laut der Zusammenfassung dient dieser Artikel als Einführung in eine Reihe von Arzneimitteldarstellungen unter dem Blickwinkel ihrer jeweils charakteristischen Symptome, die in späteren Ausgaben des ‚Neuen Archivs für Homöopathik’ veröffentlicht werden.
Herr Dr. Rabe schreibt zuletzt noch eine zweiseitige Buchrezension über Heiner Freis „Die homöopathische Behandlung von Kindern mit ADS/ADHS (ISBN 3-8304-7201-3). Den Abschluss der Ausgabe bildet eine Seminarliste von durch die Herausgeber und Schriftleiter empfohlenen Veranstaltungen.
Wie nun kann man dieses neue Produkt beurteilen? Die Philosophie dahinter und auch die Qualität der vorliegenden Artikel lässt mich ein ‚sehr empfehlenswert geben’. Wer nun glaubt, sich mit dem Abonnement dieser Zeitschrift in Kürze und ohne eigene Recherchearbeit rasch zu einem genuinen Homöopathen fortbilden zu können, wird enttäuscht sein. Das Studium in Eigeninitiative wird das ‚Neue Archiv’ nicht ersetzen. Aber es wird hervorragende Anleitungen dafür bereitstellen. Überall wo nötig, wird in den Artikeln über Fußnoten auf die Quellen verwiesen, in denen der Student das entsprechende Thema weiter aufarbeiten kann. Die Redaktion übrigens gibt sich sehr offen und kommunikativ: „Wir freuen uns auf eine rege Leserschaft, die uns herausfordert, Fragen stellt und Stellung bezieht“ (siehe Editorial von Frau Westhofen).
Was ich vermisse, ist ein Dienst, der für ein solches Archiv unentbehrlich ist: eine Datenbank in schriftlicher oder elektronischer Form, z.B. auf der Webseite des Kwibus Verlages, der das Auffinden eines Themas mittels Stichworten in der Zukunft vereinfacht. Aber dieses Manko ist heute, so kurz nach dem Erscheinen der Erstausgabe sicherlich zu verschmerzen.
Ich jedenfalls freue mich schon auf Band 2.