Jeremy Sherr - Interviewt von Manish Bhatia

Jeremy Sherr - Interviewt von Manish Bhatia

Author: 
Manish Bhatia

Liebe Freunde, heute haben wir bei uns auf dem heißen Stuhl keinen geringeren als den sehr berühmten Jeremy Sherr (Applaus, Applaus!). Jeremy muss nicht vorgestellt werden, aber ich würde trotzdem gern sagen, dass er als starker Befürworter der Homöopathie bekannt ist, als außerordentlicher Lehrer und als der Mann, der die Kunst der homöopathischen Arzneimittelprüfungen wieder belebt hat. Dieses Interview fand nach Jeremys aufbauendem Vortrag bei der Links-Konferenz in Heidelberg statt.

Jeremy, willkommen auf dem heißen Stuhl des Monats von Hpathy! 24.000 Menschen warten auf Ihre Worte. Womit wollen wir beginnen?

JS: Danke, dass ich eingeladen wurde. Letzten Monat erhielt ich eine E-Mail von Ihrer Website mit der Fragestellung, ob es mehr als ein Simillimum geben kann. Darauf würde ich gerne antworten. Vielleicht können wir damit beginnen.

MB: Ok! Lassen Sie uns damit beginnen. Ich habe mit so vielen Menschen gesprochen und meine Erfahrung daraus ist, dass wenn ich mit Rajan spreche oder mit Jan, sie alle unterschiedliche Ansätze haben. Sie sagten es schon in ihrem aufbauenden Vortrag bei der Konferenz, wenn man einen Hammer hat, sieht alles aus wie ein Nagel. Wenn es also eine Phase gibt, in der Jan an mineralischen Mitteln arbeitet, dann wird er nach Fällen Ausschau halten, in denen er diese Mittel geben kann; wenn Sie Schokolade prüfen, dann halten Sie Ausschau nach den Fällen, die zu dem Prüfungsthema passen; wenn Sankaran an der Pflanzeneinteilung arbeitet, wird er geneigt sein, die Mittel zu geben, die seine Arbeit unterstützen. Wir haben viele Videofälle auf Konferenzen gesehen, aber wenn diese Patienten zu ihnen kämen, würden Sie ihnen die gleichen Mittel verschreiben? Vermutlich nicht!

Ich habe auch gesehen, dass es einen großen Unterschied gibt bei den Mitteln, die auf den unterschiedlichen Kontinenten verwendet werden. In Indien arbeiten die meisten Homöopathen immer noch mit den Mitteln, die uns von Hahnemann, Hering und Allen gegeben wurden; Ihre Mittel sind in Indien noch nicht leicht erhältlich, wohingegen Sie oft die Mittel verschreiben, die Sie geprüft haben. Jan verschreibt oft Mittel aus dem mineralischen Königreich, die in anderen Teilen der Welt nur schwer zu bekommen sind. Trotz dieser Unterschiede haben wir alle einen gewissen Erfolg. Deshalb ist meine Frage - kann es mehr als ein Simillimum geben?

JS: Dazu habe ich eine Menge zu sagen. Ihre Beobachtung ist mehr als korrekt. Wenn die Homöopathie nur mit einem Simillimum funktionieren würde, dann gäbe es keine Homöopathie. Wir wären alle aus dem Geschäft. Selbst wenn es für einen Patienten nur mit fünf Mitteln funktionieren würde, wären wir immer noch alle aus dem Geschäft. Nach 25 Jahren des Lehrens und Fälle Vorstellens weiß ich, dass in einer Klasse von 20 Studenten 15 unterschiedliche Mittelempfehlungen für einen Fall kommen. Dann sagt der Lehrer, 'ich habe dieses oder jenes Mittel gegeben' und die ganze Klasse denkt: 'Oh! Ich liege falsch, weil das Mittel gewirkt hat und der Lehrer recht haben muss'. Und deswegen verbreitet sich dieses Ding über das Simillimum. Ich denke, dass eine ziemliche Bandbreite an Mitteln bei einem einen Patienten wirken kann. Ich bin durch die ganze Welt gereist und habe gesehen, wie unterschiedliche Homöopathen unterschiedliche Mittel verschreiben und damit Erfolg haben. Wie Sie schon sagten, jeder ist zu einem gewissen Grad erfolgreich. Das ist so wichtig. Zum Beispiel, wenn in einer Klasse Ihre Mittelwahl sich von der des Lehrers unterscheidet, dann sollten Sie nicht das Vertrauen verlieren und denken, dass er recht hatte und sie unrecht. Es könnte sein, dass Ihre Mittelwahl genauso richtig ist. Das ist eine Konsequenz davon.

Die nächste Konsequenz ist, dass der Aufbau der Materia Medica aus Fällen sehr zweitrangig ist, viel weniger Wichtigkeit hat, als die Prüfungen. Weil man kann sagen, dass man drei oder vier Fälle eines bestimmten Mittels gesehen hat, aber in diesen Fällen könnte das Mittel auch nur ähnlich oder teilweise ähnlich gewesen sein. Dann nimmt man all die Daten aus diesen besonderen Fällen in die Essenz des Mittels auf, aber ich glaube nicht, dass all diese Daten unbedingt zu diesem Mittel gehören. Selbst wenn man ein teilweise richtiges Mittel gibt, hat es die Macht, viele Symptome des Falles zu beseitigen, die nicht zum Mittel gehören. Um zu wissen, ob ein Mittel das Simillimum ist oder nicht, gibt es sehr strenge Kriterien. Kent hat zum Beispiel die Definition gegeben, dass wenn man das Simillimum gibt, sich eine Verschlimmerung der bestehenden Symptome einstellen müsste, die Symptome dann besser werden und sich anschließend ein Rückfall der ursprünglichen Symptome einstellt.

Schauen wir doch einfach mal zurück, auf das, was Hahnemann gesagt hat. Hahnemann sagte definitiv, dass es kein Simillimum gibt. Er sagte, dass das Simillimum ein theoretisches Konzept ist. In § 156 sagte er, dass man ein Mittel nicht einem Fall anpassen kann, wie z. B. zwei gleichwinklige Dreiecke mit gleich langen Seiten. Das wird nicht geschehen. Es gibt nicht 'das' Simillimum. Denn wenn man per definitionem Simillimum sagt, das beinhaltet, dass nur ein einziges Mittel in diesem Fall wirken würde. Aber wenn man Pulsatilla nigricans gibt, dann war vielleicht Pulsatilla nutalliana ähnlicher, oder vielleicht wäre Pulsatilla von einem anderen Kontinent noch besser, oder vielleicht war es ein Spinnenmittel, dass wir noch nicht kennen. All diese Mittel können bis zu einem bestimmten Grad helfen, aber logischerweise kann man nie sagen, ob es nicht noch ein besseres Mittel hinter der nächsten Ecke gibt.

Arzneimittel sind wie Gedichte. Manche berühren uns mehr und manche weniger, aber man kann nie sagen, dass es ein ultimatives Gedicht gibt, um einen Menschen zu berühren, es kann immer noch ein besseres geben.

Aus diesem Grund, müssen wir uns auf die Prüfungen stützen. Denn eine Prüfung erzeugt eine positive Wirkung da, wo erst einmal die zufälligen, nicht prüfungsrelevanten Symptome beseitigt wurden, da weiß man definitiv, dass die Symptome zur Prüfung gehören. In einer Prüfung erhält man die positive Wirkung einer Substanz auf 20 Menschen, was viel präziser ist, als die Symptome aus einigen zufälligen Fällen zu extrahieren. Die Prüfungen geben uns eine solide Basis, von der aus wir die klinische Arbeit weiterführen können.

Es kann leicht passieren, dass die Menschen außerhalb der Homöopathie sagen würden: "wenn es nicht ein einziges Simillimum gibt, ist die Homöopathie keine Wissenschaft. Die Wissenschaft sollte immer nur eine Antwort geben." Aber dass es nicht der Punkt. Die Wissenschaft der Homöopathie liegt nicht in der Verordnung des ersten Mittels. Die Wissenschaft der Homöopathie liegt in der Verschreibung des ersten Mittels und den anschließenden Follow-ups, den weiteren 2., 3., 4. und 5. Verschreibungen, die die Heilung des Patienten vervollständigen. Man kann irgendwo am Fuß eines Berges beginnen und sich nach oben vorarbeiten. Man kann einen guten Weg wählen, oder einen schwierigeren Weg. Aber wenn man den ersten Schritt macht, d. h. die erste Verschreibung, dann muss man dem voller Klugheit bis zur nächsten Basis folgen, dann zur nächsten Basis und so weiter... bis man den Gipfel erreicht. Es gibt viele Wege zum Gipfel. Die Wissenschaft der Homöopathie besteht im Verständnis der zweiten Verschreibung und ihrer Prinzipien; und von dort ausgehend dem Fallmanagement bis zur Heilung. Aber die meisten Lehren konzentrieren sich nur auf die erste Verschreibung.

MB: Aber diesen Aspekt der Homöopathie bekommen wir nie in einem Seminar oder auf einer Konferenz zu sehen. Es wird es nie gezeigt, dass sogar die Meister von diesem zu jenem Mittel gehen müssen, bevor ein Fall geheilt ist. Was uns gezeigt wird ist, dass ein Einzelmittel zwei Jahre lang wirkt, für alle chronischen und akuten Beschwerden. Und das ist in der derzeitigen klinischen Praxis so schwierig zu erreichen.

JS: Sie haben vollkommen Recht. Die meisten Lehrer zeigen gern Videofälle und natürlich wählen Sie Ihre besten Fälle aus. Ich persönlich arbeite am liebsten mit Langzeit Life-Fällen. Im Allgemeinen verfolgen meine Studenten meine Fälle drei Jahre lang.

Aber wenn ich bei einer Konferenz unterrichte, dann werde ich keinen nat-mur Fall auswählen. Ich werde auch keinen Langzeit-Fall wählen mit vielen Follow-ups, weil die Leute nicht dasitzen und sich alle Follow-ups eines Falles anschauen wollen. Dafür ist weder Zeit noch Geduld vorhanden. Die Leute kommen zu einer Konferenz, um ein Mittel zu sehen, ein Mittelbild und das Ergebnis. Deshalb wähle ich meine besten Fälle wunderbarer Arzneimittel. Aber das vermittelt einen falschen Eindruck.

Und dann gehen sie nach Hause und glauben, so sei die Praxis. Aber die Realität ist anders, so läuft es in der Praxis nicht.

MB: Für mich ist es wie ein 'Kenn ich schon, hatte ich schon'. Als Student ging ich zu den Sankaran Seminaren und fühlte mich anschließend so inspiriert, dass auf diese Art und Weise die wunderbaren Heilungen geschehen. Ich kam nach Hause und versuchte auch so zu arbeiten, aber so funktionierte es nie für mich.

JS: Meistens funktioniert es für niemanden so. Ich habe mit Hunderten von Menschen gesprochen und es ist nie so, außer in den wenigen, merkwürdigen, wunderbaren Fällen. Die Mittel wechseln. Und man findet nicht jedes Mal das Beste beim ersten Mal. So ist das mit der Homöopathie. Fragen Sie irgendeinen praktizierenden Homöopathen wie viele Patienten fünf Jahre lang bei einem Mittel geblieben sind. Die Anzahl wird sehr klein sein. Ich frage Sie, Manish, wie viele Fälle haben Sie, in denen ein Patient fünf oder 10 Jahre lang dasselbe Mittel gebraucht hat. Ich vermute sehr wenige.

MB: Ja, sehr wenige.

JS: Weniger als 5%?

MB: Ja, vermutlich weniger als 5%

JS: Das ist die Antwort, die ich von den meisten Menschen erhalte. Und die Leute fragen sich, wie kann das sein?

MB: Ja, insbesondere die jungen Studenten. Die, die schon einige Jahre praktizieren, können tatsächlich beurteilen, dass das, was in den Seminaren gezeigt wird, nicht die ganze Wahrheit ist. Aber für die jungen Studenten ist das sehr verwirrend.

JS: So ist es. Der Grund hierfür liegt in kommerziellen Gründen, im Unterhaltungswert und darin, dass die Studenten ein nettes Seminar haben wollen. Man will nicht nerven. Das ist eine Unzulänglichkeit der Konferenzen. Man hat 45 Minuten Zeit und muss seine beste Ware präsentieren.

Ich biete eine dreijährige Ausbildung und zeige nur Life-Fälle, kaum Videofälle, denn ich möchte, dass die Studenten das Gute, das Schlechte und das Hässliche sehen. Ich möchte, dass sie die Dinge auf lange Sicht sehen. Und mehr als alles andere, möchte ich, dass sie die zweite Verschreibung sehen. Denn darin liegt die wirkliche Kunst und Wissenschaft meiner Meinung nach.

Sehen wir es einmal so. Man sucht sein bestes Erstmittel und es wirkt vielleicht wunderbar, und dann sagt man, ich möchte, dass es eine lange Zeit wirkt, vielleicht für immer. Ich tue das nicht. Ich möchte, dass dieses Mittel sein Werk in einem oder zwei Jahren beendet. Warum? Nehmen wir als Beispiel einmal an, dass dieser Patient Aurum benötigt. Die kommen ins Leben, um eine bestimmte Lektion zu lernen über den hohen Aufstieg und den anschließenden Fall gefolgt von weiterem Aufstieg und weiterem Fallen. Das ist ihr Karma. Das ist ihre Lektion. Deshalb stecken Sie in diesem Leben fest. Nun gibt man ihnen Aurum und es geht ihnen gut, großartig! Aber irgendwann sollte diese Lektion doch beendet sein, man möchte, dass sie ihre Lektion lernen und zur nächsten weitergehen. Wenn sie ihre Lektion immer noch nicht gelernt haben, brauchen Sie immer noch das gleiche Mittel. Für mich bedeutet das, dass wir irgendwie unsere Arbeit noch nicht beendet haben.

Wenn Aurum gut war, dann sollte man nach drei Jahren sehen, dass sie nicht mehr so aufsteigen müssen, dass sie nicht mehr abstürzen müssen, und dass sie endlich ihre Lektion gelernt haben. Und wenn man ihnen noch eine Gabe gibt und sie dann Prüfungssymptome entwickeln, dann wissen Sie genau, dass sie bereit sind, sich zur nächsten Lektion voran zu bewegen.

Es ist wie ein Baby, das laufen lernt. Wenn es erst einmal laufen kann, kann man ihm das Laufen nicht mehr beibringen. Jetzt kann man ihm das Sprechen beibringen.

Die Leute fragen: "gibt es ein Mittel für das ganze Leben?" Das ist eine sehr häufig gestellte Frage.

Es hängt davon ab, wie wir das Leben sehen. Es gibt eine Menge Fälle, in denen der Mensch das gleiche Mittel sein ganzes Leben lang braucht. Sie brauchten das Aurum schon als sie empfangen wurden, und sie brauchen das Aurum immer noch, wenn sie zu Ihnen kommen. Nun kommen sie zu Ihnen, und Sie geben ihnen Aurum einmal, zweimal, fünf Mal, zehn Mal. Nun sollten Sie doch die Lektion lernen und zur nächsten gehen. Wenn die Lektion vorbei ist, dann ist es, als ob das Leben vorbei sei. Wir beschleunigen nur den Lernprozess. Was sie vielleicht in 5000 Leben gelernt hätten, lernen sie mit dem Arzneimittel in drei Jahren. Das ist die Wirkung der Homöopathie.

Die Homöopathie sagt, lass uns schnell Lektion eins absolvieren und dann Lektion zwei. Der Trick in der Wissenschaft der zweiten Verschreibung ist, wie man sich weiter in die richtige Richtung bewegt, wie beim Steuern eines Bootes. Wenn man das Rennen gewinnen will, dann muss man sehr effizient sein. So machen es die Menschen in einer Regatta. Sie berechnen die Winkel ganz präzise. Sie bewegen sich von einem Kurs zu einem anderen Kurs. Danach halten sie Ausschau. Wie man sich von einem Kurs zum nächsten bewegt, so dass man auf die effektivste Art vorwärts kommt.

In den Chronischen Krankheiten fragte sich Hahnemann nach 20 Jahren Praxis, warum die Patienten, die er jahrelang behandelt hatte, immer wieder kamen. Er fragte sich selbst: was ist es, was ich nicht heile? Er war sehr selbstkritisch. Es war ihm klar, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Deshalb handelt die Hälfte der Chronischen Krankheiten von Miasmen und die andere Hälfte von Follow-up Verschreibungen und Fallmanagement; wie man das Schiff am sichersten nach Hause steuert. Und darum geht es. Das kann man in keiner Konferenz lehren. Und das ist in Ordnung, so sind Konferenzen nun einmal. Aber das Ergebnis ist, dass die meisten Lehren sich fokussieren, als ob es nur ein einziges Mittel gäbe… und so ist es in der Praxis nun einmal nicht.

Vielleicht gibt es ein paar Genies, die viel schlauer als ich sind und ihre ganze Praxis auf 10-Jahres-Fällen mit dem gleichen Mittel aufbauen. Aber die Mehrheit kann das nicht.

MB: Es ist einfach nicht möglich. Man sagt von Massimo, dass er diesen Goldstandard von mindestens zwei Jahren mit dem gleichen Mittel erreicht, und dass er sogar die Akutfälle damit abdeckt. Aber wenn alle Akutfälle vom chronischen Simillimum abgedeckt würden, wozu brauchen wir dann all die Akutmittel, die sich in unseren Büchern finden?

JS: Ich glaube nicht, dass akute Erkrankungen das gleiche Mittel brauchen, wie die chronischen Erkrankungen. Und das wird im § 72 sehr klar. Hahnemann sagt, akut und chronisch sind zwei gegensätzliche und unterschiedliche Erkrankungen.

Das ist ein sehr wichtiges Thema, das man von der Theorie her verstehen muss. Akute Erkrankungen bewegen sich entweder in Richtung Tod oder Heilung. Chronische Erkrankungen sind ein langsames, progressives Abrutschen in die Vergessenheit, das mit dem Tod des Patienten endet. Die chronischen Krankheiten entsprechen also einem langsamen Herabrutschen des Hügels, und die akuten Krankheiten versuchen den Berg zum Tod oder zur Heilung zu erklimmen. Im Akutfall werden sie entweder sterben, oder sie erholen sich und gewinnen. Im chronischen Fall verschlechtern sie sich einfach immer mehr. Dies ist also völlig gegensätzlich. Wie können also manche Leute sagen, dass das chronische Mittel im akuten Zustand wirkt? Es kann bis zu einem gewissen Grad helfen, aber nicht auf die bestmögliche Weise. Wenn man Tomaten züchtet und sie von bestimmten Fliegen befallen werden, dann kann man die Ernte retten, indem man das Unkraut entfernt. Aber im Akutfall ist es besser, sich um die Fliegen zu kümmern.

Der zweite Punkt ist, dass keine allgemeine Klarheit besteht, bei der Unterscheidung zwischen echten Akutfällen und dem akuten Aufflammen einer chronischen Erkrankung. Eine Menge dieser so genannten akuten Erkrankungen sind in Wahrheit ein akutes Aufflammen einer chronischen Erkrankung und keine echten entzündlichen fieberhaften Krankheiten. Echte entzündliche fieberhafte Krankheiten sind gewöhnlich das genaue Gegenteil einer chronischen Erkrankung. So ist zum Beispiel Belladonna eine Umkehrung von Calcium carbonicum. Chamomilla ist eine Umkehrung von Magnesium carbonicum. Alle Komplementärmittel haben eine akut-chronische Beziehung. Nehmen Sie zum Beispiel Pulsatilla-Silicea, Magnesium carbonicum-Chamomilla, Sulphur-Nux vomica, Nat-mur-Ignatia, sie repräsentieren das Innerste des jeweils anderen. Dies erfordert ein sehr tiefes Studium der Materia Medica, denn wenn man beide zusammen studiert, bekommt man sowohl das innere als auch das äußere, und man versteht, wie die Symptome vom einen zum anderen Mittel wechseln.

Wie Sie schon sagten, die Akutmittel haben ihre Rolle. Und in akuten Fällen wirken sie fantastisch. Ein Teil des Fallmanagements besteht darin, zu wissen, wann ein Akutmittel gebraucht wird und wann die akute Phase vorbei ist und man wieder zur chronischen Erkrankung schauen muss. Diese Erkrankungen stellen unterschiedliche Gesamtheiten dar.

MB: Ein anderes Konzept lautet: wenn man ein chronisches Mittel gibt und daraufhin eine akute Erkrankung auftritt, ist das oft eine Heilreaktion des Körpers und man sollte nicht daran rühren. Sehen Sie das auch so?

JS: Ja. Aber es ist komplizierter. Eine akute Erkrankung ist wie ich schon sagte, ein Schritt in Richtung Heilung. Lassen sie mich Ihnen ein Beispiel geben, das etwas tiefer in die Theorie dahinter führt. Ein Calcium carbonicum Patient bekommt einen akuten Belladonna Zustand. Was ist ein üblicher Auslöser für ein Belladonna Fieber? Einer der auslösenden Faktoren ist ein nasser Kopf. Das chronische Mittel zu Belladonna ist Calcium carbonicum. Der Calcium Patient läuft im Regen mit nassem Kopf herum und in der Nacht bekommt er Fieber. Und beginnt auszubrennen. Hier kippt der Kopfzustand von Calcium und wird zum heißen trockenen Kopf des Belladonna Zustands. Warum? Weil der regennasse Kopf ähnlich ist wie bei Calcium der verschwitzte Kopf. Das triggert die Empfänglichkeit. Zu viel Wasser auf dem Kopf; nun, nach dem Regen ist noch mehr Wasser auf dem Kopf und sie wechseln von Calcium zu Belladonna.

Dieser Belladonna Zustand ist heilend für Calcium carbonicum, denn er bringt viel trockene Hitze in den Kopf – er trocknet den Kopf quasi aus. Jede echte akute Erkrankung ist der Versuch, eine chronische Krankheit zu heilen. Es ist wie beim Dampfkochtopf. Jedes Mal wenn das Ventil hochgeht sieht man den Dampf – das ist Entzündung, das ist die akute Erkrankung und sie nimmt den Druck aus dem Dampftopf. Dies geschieht auf sehr systematische Art, so sieht man dann die Umkehrung von Symptomen und Modalitäten zwischen chronischen und akuten Zuständen. Es wird sehr klar, wenn man die komplementären Mittel studiert.

Dementsprechend ist es exzellent wenn Sie einem Calcium Patienten eine Gabe 10M geben und er am nächsten Tag ein Belladonna Fieber entwickelt. Denn Sie wissen, dass der Körper das Beste tut, um sich zu erholen und daran sollte man nicht rühren. Sie bewegen sich in Richtung Heilung und in 98% der Fälle besteht keine Gefahr durch das Fieber, denn es ist eine intelligente Antwort. Selbst wenn das Fieber sehr hoch geht, ist es eine intelligente Antwort des Körpers. Die Lebenskraft sagt: ok, ich habe das richtige Mittel bekommen, jetzt machen wir Party. Wenn Sie jedoch das Mittel geben und der Patient anderthalb Monate später einen Auslöser hat und krank wird, dann müssen Sie das getrennt als akute Erkrankung behandeln, denn es ist nicht das direkte Ergebnis des Mittels.

MB: Wenn Sie also einen Auslöser finden können, geben Sie ein Mittel, sonst nicht.

JS: Es hängt auch von der Zeit ab. Wieviel Zeit ist seit der Gabe des chronischen Mittels verstrichen? Wenn Zeit vergangen ist und es nicht ernst ist, rühren Sie nicht daran. Wenn Zeit vergangen ist und es einen klaren Auslöser gibt und die akute Erkrankung ernst genug ist, um Aufmerksamkeit zu benötigen, dann geben Sie ein Mittel.

MB: Kann man dasselbe von akuten epidemischen Krankheiten sagen?

JS: Eine akute Epidemie ist genau das gleiche, wie eine akute individuelle Erkrankung, abgesehen davon, dass sie kollektiv auftritt. Eine akute Epidemie ist ein Versuch, die kollektive Psora zu heilen. Sie wissen, dass es eine Menge Überbevölkerung auf diesem Planeten gibt. Hahnemann sagt, dass Epidemien auftreten, wenn zu viele Menschenmassen da sind. Das bedeutet, es gibt ein grundlegendes Problem des miasmatischen Bodens. Da ist Druck, da ist Überbevölkerung, da ist der Mangel an Ressourcen. Die kollektive Lebenskraft muss mit dieser Überlastung irgendwie fertig werden. Sie verringert den Druck, indem sie etwas Akutes aufbietet – Krieg oder eine Epidemie.

Eine Epidemie ist ein Heilungsversuch, in dem Dampf abgelassen und gleichzeitig die Bevölkerung verringert wird. Gäbe es jedoch keine darunter liegenden Miasmen, hätten wir keine Überbevölkerung und keinen Bedarf an Kriegen oder Epidemien.

MB: Wenn Sie diesen Gedanken weiterführen, können Sie uns an Ihren Gedanken zum Thema Homöoprophylaxe teilhaben lassen?

JS: Die homöopathische Prophylaxe funktioniert definitiv. Sie wurde während unserer gesamten Geschichte angewandt, oder sagen wir besser die ersten 100 Jahre unserer Geschichte und dann kam sie in Verruf. Heute ist man sich dessen nicht mehr so sicher, aber in der Vergangenheit sagte man similia similibus preventur. Es ist einfacher, Krankheiten zu vermeiden, als Krankheiten zu heilen. Wir haben Techniken, nach denen homöopathische Mittel prophylaktisch gegeben werden, aber es geht hier nicht darum, einfach ein Mittel aus der Keuchhustenimpfung und der Tetanus-Impfung zu geben. Das ist die niedrigste Form der Prophylaxe und passt nicht zur homöopathischen Denkweise.

Wann ist also eine Prophylaxe erlaubt? Wenn eine klare und unmittelbare Gefahr besteht. Das heisst, wenn die Epidemie definitiv kommt. Wenn eine Choleraepidemie ausbricht, können Kinder innerhalb von 4 Stunden sterben. Man hat nicht die Zeit, alle zu behandeln. Die Epidemie muss unter Kontrolle gebracht werden. Also wird man prophylaktische Mittel geben wollen. In alten Zeiten hatten die Dörfer mit einem Homöopathen 10% oder weniger Todesfälle, im Vergleich zu Orten ohne Homöopathen, nur mit schulmedizinischer Versorgung, wo 60-90% starben. Viel davon kam durch die Prophylaxe.

Welches Mittel sollte man für die Prophylaxe verwenden? Das beste Mittel ist der aktuelle Genius epidemicus. Finden Sie das Genius-Mittel. Sie wissen schon, das, was den meisten Menschen [während der Epidemie] hilft. Die zweitbeste Lösung ist, ein allgemeines Mittel für diese Erkrankung zu geben, wie Drosera bei Keuchhusten oder Pulsatilla bei Mumps. Die drittbeste ist, eine Nosodoe, wie Pertussinum zu geben. Und am wenigsten homöopathisch ist es, dem schulmedizinischen Impfgedanken zu folgen und routinemäßig wie in der Schulmedizin Mittel zu geben, die aus Impfstoffen hergestellt wurden. Das bedeutet, sich der  Schulmedizin zu prostituieren. Manche Menschen kommen zum Homöopathen und sagen, sie brauchen ein Prophylaxemittel gegen Keuchhusten für ein drei Monate altes Kind. Das ist keine Homöopathie. Es muss eine klare Gefahr bestehen und dann kann man das schlimmste der Epidemie verhindern.

Man kann mit den prophylaktischen Mitten weniger präzise umgehen, im Vergleich zu dem, wenn Menschen tatsächlich krank sind. Denn man gibt eine Vorab-Information. Das ist, als ob man eine Insiderinformation vom Aktienmarkt geben würde. Man sagt; hey, da wird etwas geschehen. Vielleicht wird es passieren, vielleicht auch nicht. Wir wissen es nicht ganz genau, aber es liegt in dem Bereich… seien Sie vorbereitet. Wenn die Krankheit da ist, ist die Lebenskraft vermindert und die Krankheit ist stark und nimmt bereits Besitz von dem Kranken, dann muss man präziser sein.

MB: Es hat ein paar Forschungen gegeben im Bereich der Homöoprophylaxe unter Bedingungen, die nicht wirklich epidemisch sind… nur sporadisch. Es ist wie eine homöopathische Impfung, man gibt Diphterinum für Diphterie, Variolinum für Windpocken, etc. Isaac Golden aus Australien hat dazu geforscht.

JS: Vielleicht wirkt es, aber dazu kann ich nichts sagen. Ich habe die Forschungsergebnisse nicht gesehen. Wenn wir sagen, etwas wirkt, das ist in der Homöopathie sehr gefährlich. Man kann auch sagen Chirurgie wirkt, Akupunktur wirkt, Osteopathie wirkt und Homöopathie wirkt…. alles wirkt. Wirkung ist nicht das Definitionskriterium. Wir müssen eine Idee haben, wo wir herkommen und wo es hingehen soll.

Eine Menge Mittel zu geben, um Patienten vor mehreren nicht existierenden Krankheiten zu schützen, kommt aus einer Angstmentalität, genau wie die Schulmedizin. In Theorie kann man Tetanus bekommen, man kann auch Pleite gehen, AIDS bekommen und sich scheiden lassen. Man kann versuchen, sich gegen all das impfen zu lassen. Aber das ist kein gesunder Ansatz dem Leben gegenüber. Wir müssen über mit der positiven Gesundheit arbeiten, und nicht angsterfüllt schulmedizinische Prozedere imitieren.

Zweitens, wenn diese Krankheiten nicht da sind, warum sollte man das tun? Woher wollen Sie wissen, dass Sie, wenn Sie diese Mittel geben, nicht eine Prüfung von jedem auslösen? Hahnemann sagt in den Paragraphen 156, 256, wenn man ein Mittel gibt, und es nicht gut gewählt ist, erhält man eine Prüfung. So gibt man also Diphterinum und zwei Wochen später… hat das Kind Husten und Dyslexie. Sie werden das nicht mit dem Mittel in Verbindung bringen. Ihr Forscher hält keine Ausschau nach den Prüfsymptomen. Die Leute sehen nur, wonach sie suchen. Mit diesen sogenannten 'Impfungen' bringt man nur dem Organismus eine Menge Stress. Man versucht eine nicht existierende Diphterie zu verhindern und erhält vielleicht eine Prüfung. Hat der Forscher die Fälle vollständig aufgenommen, täglich oder wöchentlich als Follow-up, um sicher zu gehen, dass keine Prüfung auftritt?

MB: Ich habe mit Isaac darüber gesprochen und er hat diese Nosoden in hohen Potenzen gegeben und keine Prüfsymptome bemerkt.

JS: Aus der homöopathischen Theorie geht hervor, und das habe ich tausende Male in meiner Praxis überprüft, dass jedes Mittel, das ähnlich ist, aber nicht ähnlich genug, eine Prüfung hervorruft. Wir wissen, dass in der Praxis nicht alle Mittel, die gegeben werden Simillima, oder noch nicht einmal ähnlich sind, aber die meisten Behandler bemerken keine Prüfsymptome, es sei denn, sie sind mit der Theorie vertraut. Der Patient kommt nach 6 Wochen und hat einen Hautausschlag bekommen und der Behandler denkt, das ist eine Verschlimmerung. Sie bekommen Durchfall und man sagt, es sei eine Heilungskrise. Sie geben Phosphor und der Patient bekommt Nasenbluten und sie vergessen sogar, das mit der Arznei in Verbindung zu bringen. Oder der Patient war nach einer Mittelgabe drei Tage lang reizbar. Niemand verbindet das mit einer Prüfung. Jetzt geben Sie mal 20 Leuten Diphterinum. Das Mittel ist garantiert nicht das simillimum und noch nicht einmal ähnlich. Die Wahrscheinlichkeit ist noch nicht einmal 1 zu 10 Millionen. Also muss zweifellos eine Prüfung dabei herauskommen! Also frage ich mich, ob er tägliche Supervisionen gemacht hat und die Fälle vollständig aufgenommen hat.

Lassen Sie mich von einer Erfahrung berichten, aus der ich viel gelernt habe. Als ich Hydrogenium zum ersten Mal prüfte, wusste ich nicht viel über Prüfungen. Nach drei Tagen sagten alle Schüler, nichts sei passiert. Ich sagte, wie kann das sein? Hahnemann sagt in Paragraph 32, dass, wenn man ein Mittel gibt, immer etwas passieren wird, man muss eine Prüfung erhalten. Ich sagte also ok, ich schicke jeden von Euch zu einem Supervisor, um Euren Fall zu besprechen. Ich wartete. Zwei Stunden später kamen sie zurück und sagten: 'Oh mein Gott! Wir haben all diese Symptome bekommen und es noch nicht einmal gemerkt.' Die Menschen bemerken die Prüfsymptome nicht leicht. Sie bemerken die Veränderung nicht, es sei denn, sie bekommen Supervision. Zum einen machen sie keine Verbindung mit einem schlechten Tag, einem gereizten Tag oder einer Grippe und der Einnahme des Mittels. Und zum zweiten sind sie Teil der Prüfung, das heisst, sie bemerken nicht, dass sie sich verändern. Da habe ich verstanden, dass man zum Verständnis einer Prüfung eine tägliche Supervision braucht, was Hahnemann natürlich von Anfang an wusste. Ohne diese Supervision sagen die Prüfer, es gibt keine Prüfung, sie warten auf etwas Spektakuläres. Vithoulkas hat auch Hydrogenium geprüft, um zu schauen ob es wirkt oder nicht. Er fand 8 Symptome und ich 1000. Dann kamen sie und sagten Deine Prüfung ist 10000 Prozent übergeprüft und ich sagte: "Nein, Eure Prüfung ist 10000 Prozent unterprüft, denn meine Prüfung wurde in hunderten klinischer Fälle bestätigt".

MB: Gibt es einen Unterschied in der Methodik, der zu diesem Unterschied in der Anzahl der Symptome führt?

JS: Unbedingt! Der erste Unterschied ist die tägliche Supervision. Die Supervision macht die Prüfung aus, denn wenn man nicht supervidiert, erhält man nichts. Vithoulkas sagte zu seinen Prüfern "Schreibt einen Bericht nach einem Monat"… und alle schrieben, nichts sei passiert. Niemand kann alle die kleinen Details ohne Supervision bemerken oder sich daran erinnern.

Prüfungen sind delikat, sie sind fein. Im Allgemeinen erhält man nichts Lautes. Gelegentlich geschieht es, so hatte ich kürzlich in einer Prüfung fast einen Herzanfall, das war ziemlich schlimm. Aber ich habe fast 30 Prüfungen gemacht und das ist nicht die Norm. Wenn niemand darauf achtet, würde man das meiste der Prüfung nicht bemerken. Ich glaube also nicht an die Idee, Impfmittel zu geben, ohne Prüfsymptome zu erhalten. Wenn ich 10 Leuten Morbillinum geben würde, würde ich eine Prüfung erhalten? Wenn die Homöopathie wirkt, ja! Meine Erfahrung mit Prüfungen lässt darauf schließen. Wenn also jemand 10 Kindern Morbillinum als Impfung gibt, warum sollte er keine Prüfung erhalten? Er muss eine erhalten! Aber er sucht nicht genau genug nach den Prüfsymptomen. Wenn man jetzt dem gleichen Menschen Diphterinum und andere Nosoden gibt… wer weiß, was für eine Verwirrung da der Lebenskraft aufgedrückt wird, nur um eine Krankheit zu verhüten, die als unmittelbare Bedrohung gar nicht existiert.

Es sollte klar sein, dass die homöopathische Prophylaxe tatsächlich wirkt, weil sie eine Prüfung auslöst. Keine Prüfung bedeutet, kein Schutz. Wenn einer aus der Gruppe eine Morbillinum Konstitution haben sollte, wird diese Person geheilt werden. Alle anderen werden prüfen. Eine Morbillinum Prüfung bei diesen Menschen hervor zu rufen ist in Ordnung, wenn eine klare und präsente Gefahr einer Epidemie besteht. Anderenfalls ist es unnötig und gefährlich.

Die Mentalität ist das darunter liegende Problem… dass wir alle Krankheiten verhüten werden. In der Homöopathie sagen wir, dass wir die Empfänglichkeit beseitigen wollen und der beste Weg die Empfänglichkeit zu beseitigen ist, das ähnlichste Mittel zu geben.

Aber nun möchte ich noch etwas völlig Gegenteiliges sagen, etwas, was  in die andere Richtung geht. Manche Homöopathen glauben auch, dass wenn sie dem Menschen das Simillimum geben, er gegen alle Krankheiten immun wird. Der Patient reist in ein Land mit Malaria, Gelbfieber oder Typhus und sie geben ihm ein Simillimum und stellen sich vor, er wird wie Supermann… nichts kann ihm mehr geschehen. Das ist nicht so. Wenn sie 52% Empfänglichkeit für Malaria hatten, dann haben sie jetzt vielleicht 45%. Sie können immer noch Malaria bekommen. Es ist nicht so, dass man einmal das sogenannte magische Simillimum bekommt und einem dann nie wieder etwas passiert. Ein Simillimum bringt einem keine lebenslange Immunität gegen alles. Sie wissen, dass diese Krankheiten sehr stark sind und dass man sie nicht verhindern kann, selbst wenn man die bestmögliche konstitutionelle Behandlung bekommt. Es verringert nur die Wahrscheinlichkeit. So ist es auch mit Krebs. Die Leute sagen "wie kann das sein – er war fünf Jahre in homöopathischer Behandlung und jetzt hat er Krebs?" Das ist so, weil fünf Jahre Homöopathie nicht bedeutet, dass man keine Krankheit mehr bekommen kann. Es verringert die Wahrscheinlichkeit von 70% auf 60% auf 40%.

MB: Aber man kann sie immer noch bekommen.

JS: Ja, man kann sie immer noch bekommen. Es braucht viele Generationen guter Konstitutionsbehandlung, um die Empfänglichkeit auf Null Prozent zu bringen. Und wenn Sie null Prozent Empfänglichkeit erreichen, denke ich, werden Sie nicht auf diesen Planeten zurückkehren.

MB: Ich möchte noch etwas zu den Prüfungen fragen. Heutzutage erhalten wir eine Menge Geistes- und Gemütsangaben in den Prüfungen. Die alten Prüfungen unserer Meister, wie Hahnemann, Hering, Allen, enthalten nicht so viele geistige und emotionale Aspekte. Es gab eine Menge allgemeiner körperlicher Befindlichkeiten, Modalitäten, Begleitsymptome, auffällige und allgemeinere Symptome. Heutzutage ist der Anteil geistiger und emotionaler Informationen unglaublich. Es gibt sogar Prüfungen, die kaum körperliche Symptome produzieren, aber ganze Bücher mit den Gemütssymptomen füllen. Warum ist das so?

JS: Das ist eine sehr gute Frage. Und ich bin zum Teil Schuld daran. Damit fange ich mal an. Als ich Scorpion und Hydrogenium und Schokolade und all die frühen Mittel geprüft haben, gab es schon eine Betonung auf den Geistes- und Gemütssymtomen. Und das liegt zum Teil wieder an der Idee, dass wenn man einen Hammer hat, alles wie ein Nagel aussieht. Heutzutage sind die Menschen mehr an den Gemütssymptomen interessiert. Danach suchen sie, also werden sie sie auch finden. Natürlich wird eine gute Prüfung die ganze Symptomenpalette hervorbringen. Und wenn eine Prüfung nur Geistessymptome hervorbringt, dann fehlt etwas. Aber die Proportion hat sich verändert. Neben unserer Voreingenommenhet, schauen wir heute auch viel genauer auf das Gemüt. Was die Leute früher 'reizbar' nannten, erhält heute eine präzisere Beschreibung, was auch zum Teil von mir kommt, d.h. 'Ich wachte morgens auf und stand kurz vor der Explosion, Ich war wütend auf meine Frau, schrie die Kinder an, brüllte auf den Hund herab und trat die Katze'. So hätten die das früher nicht beschrieben. Wir nehmen also die gleiche Idee und beschreiben sie detaillierter. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass in den alten Prüfungen der Patient sagte er sei reizbar, wenn er ängstlich war. Was soll man damit anfangen? Im Clarke's Dictionary sind die Gemütssymptome nutzlos – zum Beispiel: reizbar, sehr reizbar, ängstlich, etc. Damit kann man nichts anfangen. Aber wenn man weiß, dass dieser Mensch reizbar war und seine Katze getreten hat oder reizbar war und am liebsten jemandem den Kopf abgebissen hätte, dann macht das einen Unterschied. Man hat die Sprache, eine feinere Version, und das macht es leichter, zu verschreiben. Zum Beispiel in meiner Prüfung der Kleinlibelle sagten die Leute 'Ich bin gereizt und möchte den Leuten den Kopf abbeissen'. Ich habe seither Fälle gehabt, in denen jemand gesagt hat, ich würde dir den Kopf abbeissen und die Libelle hat gewirkt. Das ist also ein gültiges Konzept. Es ist raffinierter und die Prüfungen haben mehr Farbe und sind dreidimensionaler. Die einfache Sprache des Prüfers, Redeweise und Ausdrücke sind für akkurate Prüfungen und Verschreibungen sehr wichtig.

MB: Aber ich denke, nicht alle Patienten gehen auf das Niveau… das Niveau der Empfindung und Gesten… wo man das Thema herausarbeiten kann.

JS: Das stimmt, sie tun es nicht.

MB: Ja, aber diese Informationen fehlen in modernen Prüfungen oft. Man kann Sulphur über die roten Körperöffnungen finden oder über die Verschlimmerung um 11 Uhr oder über die geistigen Symptome des Patienten, über das Verständnis der zentralen Wahnidee oder der darunter liegenden Empfindung. Aber nicht jeder Patient geht auf die Ebene der Wahnidee und Empfindung, wo finden sich also die harten, klaren, körperlichen Symptome?

JS: Die müssen auch da sein. Und wenn sie sich meine Prüfungen anschauen, sind sie alle da – die auffälligen, die Begleitsymptome, die Modalitäten, der Krankheitsnamen… sie sind alle da. Das ist das A und O, dann erst kann man nach und nach die feineren Grade der Raffinesse erkunden –  die Sprache,  die Wahnidee, die Empfindung. Je dreidimensionaler die Prüfung ist, desto besser. Aber man braucht zuerst das ganz konkrete – der rote Mund, die Landkartenzunge, das Verlangen nach Salz und all diese Informationen. In meinen Prüfungen ist das alles drin.

Heutzutage habe ich Videos von allen Prüfern… und es ist faszinierend zu sehen, wie sie gleiche Redeweisen, Gesten und Ausdrücke verwenden. Aber ohne solide Basis ist das wie eine Kopf ohne Körper. Ich bin also völlig damit einverstanden, dass alle Ebenen da sein müssen. Ich glaube, dass die heutigen Prüfungen besser sind, als die alten Prüfungen, weil man das Bild klarer in mehr Dimensionen sehen kann. Aber das kann ich nicht von allen Prüfungen sagen. Es gibt eine Menge schlechter Prüfungen heutzutage, Prüfungen, die nur Gemütssymptome produzieren, nur Bla Bla ohne Konkretes. Das ist eine Prüfung auf niedriger Ebene für mich. Auf der anderen Seite, wenn die Prüfung nicht gut aufbereitet wurde, bekommt man einen Haufen nutzloser Informationen, wie z.B.: 'Ich wachte morgens auf, ging zum Supermarkt, mein Freund rief an, ich ging ans Telefon'. Wer soll damit etwas anfangen? Es wird so schwierig zu lesen und zu verstehen, was vorgeht. Es ist übertrieben. Und was noch schlimmer ist, sie repertorisieren alles und wir erhalten einen Haufen nutzloser Informationen im Repertorium.

Ein weiteres Problem mit schlechter Aufbereitung ist, dass die Prüfungen nicht im 'Als ob es eine Person wäre' Format aufbereitet werden. Sie werden präsentiert als Prüfer 1. Tag 1,2,3, Prüfer 2, Tag 1,2,3. Das macht es schwierig, das Bild zu erkennen.

MB: Wie filtern Sie das Rauschen heraus? Also, was machen wir, wenn wir zu viele Rubriken durch die neuen Mittel in unseren Repertorien erhalten? Wie z.B. Bambus und Vanille bei fast jeder Repertorisierung heutzutage vorn erscheinen.

JS: Zuerst, wie man das Rauschen herausfiltert. Meine Philosophie ist, dass man im ersten Stadium zu allem Ja sagen muss. Weil man nie weiß. Bei meiner Prüfung von Schokolade hatte ein Prüfer das Verlangen aufs Land zu fahren. Und ich dachte "Jeder will doch aufs Land fahren". Nimm das raus. Erst als ich alle Symptome gesammelt hatte, sah ich, dass ein anderer Prüfer sagte: 'ich möchte aus der Stadt raus" ein weiterer 'Ich möchte den Bäumen näher sein' und ein weiterer sagte 'ich brauche die Büsche'. Plötzlich dachte ich "Hey, schau Dir das an". Ich hätte das nicht erkennen können, bis ich alles zusammen getragen hatte. Man kann also auf der Prüfer-Ebene kein Rauschen ausfiltern, weil man nie weiß, was bedeutungsvoll sein wird und was nicht, bis man die Totalität hat. Aber man kann sich notieren, dass man Zweifel an diesem Symptom hat. Wenn man erst einmal die Gesamtheit zusammen hat und sie zusammen gefügt hat, als käme alles von einer Person, dann muss man beginnen zu kürzen. Zuerst fliegt all der Müll raus, wie z.B. 'ich ging ans Telefon'. 'ich wachte morgens auf.' Dann schmeißt man das raus, was sehr allgemein ist, oder was zweifelhaft war oder was auf externen Faktoren beruht. Man muss anfangen auszudünnen und es ist wirklich eine feine Kunst, zu entscheiden, was drin bleiben darf und was rausfliegt. In der ersten Ausgabe meines Buches über die Dynamik und Methodik von Prüfungen schrieb ich" im Zweifel, nehmen Sie es raus." Aber in der zweiten Ausgabe änderte ich das  "im Zweifel,  lassen Sie es drin". Das war die Meinung der alten Meister, Hahnemann, Hering, etc. – man weiß nie, was sich letztendlich als gültig herausstellt. Ich habe das oft gesehen – Symptome, die ich zum Rauschen gezählt hätte, erwiesen sich als essentiell. Symptome, die ich für nutzlos hielt, erwiesen sich als klinisch gültig.

Seitdem habe ich verstanden, dass eine Menge Leute Prüfungen als 100% vollständiges und endgültiges Dokument des Mittels ansehen, das alles vom Mittel enthält, nicht mehr und nicht weniger. Vor allem die eher 'wissenschaftlich denkenden' Homöopathen sind so. Sie vergleichen Prüfungen mit klinischen Versuchen  und denken deshalb im Absoluten. Sie denken "Das ist das vollständige Mittel". Aber so kann es nicht sein. Eine Prüfung ist nur eine Empfehlung für die Materia Medica. Im günstigsten Fall ist eine Prüfung nur zu 80-90% korrekt, es wird immer ein gewisses Rauschen geben. Das lässt sich nicht vermeiden. Manchmal kann man nicht herausfinden, ob der Prüfer Kopfschmerzen hatte, weil er etwas mit Glutamat gegessen hatte, oder ob es an der Prüfung lag.

Und als zweites betrachten Sie bitte folgendes: ich führte eine Prüfung von Dama dama durch, dem Damhirschen. Wir erhielten ein Bild. Zwei Monate später kam meine Frau und sagte, sie wollte auch eine Prüfung durchführen, also gab ich ihr Dama dama. Während der Prüfung veränderte sie sich total und begann, die Außenseite der Badewanne acht Stunden lang mit kleinen Fischen zu bemalen! Meine Frau hat nie zuvor gemalt, sie mag es gar nicht. Und sie hätte es garantiert niemals 8 Stunden lang an unserer Badewanne tun können. Sie entwickelte ein feines Kunstverständnis, das sie nie vorher gehabt hatte. Sie ist keine raffinierte Kunstkennerin, doch plötzlich wollte sie alle Bilder aus dem Haus werfen, weil sie Müll seien… Bilder, die sie selbst ausgewählt hatte. Nun, es ist klinisch bestätigt, dass Patienten mit einem ähnlichen Verlangen zu malen und feinen Kunstverständnis sehr gut auf Dama dama reagieren, wenn auch die anderen Indikationen stimmen! Wenn das nicht in der Prüfung aufgetreten wäre, hätten wir diesen Aspekt nicht, was bedeutet, das Originaldokument würde nicht das ganze Mittel enthalten. Mit jedem Prüfer, den wir der Prüfung hinzufügen, oder den wir rausnehmen, verändert sich das Ergebnis, man kann also niemals sagen, dass eine Prüfung das endgültige 100%ige Arzneimittelbild enthält. Aber es ist die beste Basis, um eine Materia Medica aufzubauen, es gibt nichts, was dem näher käme!

Mit jeder Prüfung ändert sich also das Bild. Man kann nicht sagen, dies ist das vollständige endgültige 100% Dokument. Man kann es der Gemeinschaft vorstellen und sagen "Schaut, das ist, was ich im ersten Stadium habe." Nun nehmt es, lasst es uns bestätigen, lasst uns schauen, was nach 5 bis 10 Jahren davon gültig und was nicht. Da manche Menschen mehr auf wissenschaftliches Denken aus sind, versuchen sie es so wissenschaftlich zu machen, dass sie eine Menge wichtiger Symptome verlieren, weil sie sich so große Sorgen machen, dass etwas hinein genommen werden könnte, was nicht zum Mittel gehört. Aber sie verlieren mehr als sie gewinnen. Sie filtern zuviel heraus und zu früh, das ist nicht das Stadium des letzten Filters. Das Ergebnis ist, dass diese überwissenschaftlichen Prüfungen flach und nutzlos sind.

MB: Ist Ihre Frau Prüfer Nr. 32?

JS: Nein, das ist meine magische Prüferin. Sie prüft die allertiefste Ebene der Substanz, die CM Ebene. Meine Frau ist auch eine exzellente Prüferin, aber auf einer anderen Ebene. Sie bringt die emotionale Seite hervor. Jeder Prüfer prüft auf einer anderen Ebene, mit einer anderen Übereinstimmung oder in anderen Seinsbereichen und sie alle sind wertvoll.

Ich möchte noch auf Ihre zweite Frage antworten. Die Frage nach dem Repertorium. Das Problem ist, dass die Organisatoren der Prüfungen versuchen, die Repertorisierung selbst zu machen. Sie wollen sie in die Repertorien bringen, weil sie stolz auf ihre Prüfungen sind. Sie beginnen zu repertorisieren und repertorisieren alles… jeder Balken eines 'T' und jedes I-tüpfelchen, jedes noch so kleine Symptom. Das Ergebnis ist, dass sie das Repertorium mit neuen, kleinen und unbestätigten Symptomen überfluten. Deshalb haben wir dann eine Unverhältnismäßigkeit im Gleichgewicht des Mittels, neue Prüfungen sind überräpresentiert. Ich habe den glech Fehler mit Hydrogenium gemacht. Und plötzlich sah ich , dass jeder Fall, den ich repertorisierte, als Hydrogenium herauskam. Ich überarbeitete es und reduzierte alle Symptome um einen Grad und entfernte alles, bei dem ich mir nicht ganz sicher war. Seitdem ist mein Grundsatz für die Eintragung neuer Prüfungen ins Repertorium, nur eine minimale Anzahl von sicheren und bedeutungsvollen Symptomen zu verwenden, so dass die Menschen das Mittel verwenden können, währen wir mehr Wissen darüber sammeln. Wenn wir es nicht ins Repertorium einarbeiten, wird das Mittel nie verwendet werden, aber wenn wir zuviel hinzufügen, wird es unverhältnismäßig. Wir sollten die Hauptsymptome hinzufügen und es dann aufgrund klinischer Erfahrung und Bestätigungen ausweiten.

Das gleiche Problem besteht aus einem anderen Aspekt heraus, dass manche Prüfungsleiter die Prüfung an die Repertoriumsherausgeber schicken, damit diese die Repertorisierung machen. Der Vorteil ist, dass diese Firmen das Repertorium sehr gut kennen, aber kein tiefes Verständnis für die Prüfung entwickelt haben. Deshalb nehmen sie dann jedes Symtom und repertorisieren es. Das Ergebnis ist wieder das Gleiche. Ich habe deshalb eine neue Methode begonnen, bei der ich alle Symptome markiere, die ich für Repertoriumsrelevant halte und diese gebe ich den Repertoriumsherausgebern. Ich mache es nicht selbst, denn die Herausgeber kennen das Repertorium viel besser als ich, sie sind die Experten. Aber ich habe ein Verständnis der Prüfung, weiß, was bedeutungsvoll ist und was definitiv zur Prüfung gehört. Es bedarf der Zusammenarbeit und es muss minimal gehalten werden. Man sieht, dass meine späteren Prüfungen von Germanium oder Neon oder Haliaetus nicht in jeder Repertorisierung auftauchen. Man findet sie nur gelegentlich. Wenn sie auftauchen, dann in einem guten Verhältnis. Im Laufe der Jahre füge ich die Bestätigungssymptome hinzu und baue die Mittel so auf.

MB: So weit ich weiß, bauen sie auch eine Datenbank aller Prüfungen auf einer Website auf. Können Sie uns mehr über dieses Projekt berichten?

JS: Es geschehen viele interessante Dinge in der Welt der Prüfungen. Viele Jahre lang hatten wir eine Datenbank auf meiner Website, wo die Prüfungsleiter ihre Prüfungsdetails registrieren und Kontaktinformationen angeben konnten. Nun haben wir die Datenbank unter www.provings.com erreichbar gemacht und erhalten täglich neue Prüfungen. Es gibt über 700. Wenn jemand eine neue Prüfung gemacht hat, ist es wichtig, sie zu registrieren und die Prüfung evtl sogar auf die Seite hochzuladen.

Vor 11 Jahren habe ich die erste Ausgabe von " Homöopathische Arzneimittelprüfungen - Dynamik und Methode" herausgegeben und es ist schön, dass konstant so viele Prüfungen gemacht werden.

MB: Ein anderes Problem, dem wir heutzutage öfter begegnen ist, dass die Quelle der Substanz und die damit verbundene Mythologie oft auf die Prüfung projiziert werden. Ist das der richtige Ansatz? Wir bekommen ein Buch über Prüfungen und die Hälfte davon handelt von der Projektion, nicht der Prüfung. Und selbst die Symptome werden hinsichtlich der Projektion analysiert.

JS: Ich finde auch, dass das ein großes Problem ist. Ihre Frage, ob das richtig oder falsch ist, hängt von der Herangehensweise ab. Es ist ja nicht so, dass wir die Substanz ignorieren sollten, wie manche Homöopathen das befürworten. Natürlich müssen wir wissen, dass Lachesis ein Schlangenmittel ist und das ist höchst wichtig, um das Mittel zu verstehen. Der Fehler entstammt oft dem Blickwinkel, der Herangehensweise. Sagen wir z.B. jemand prüft Tiger. Jetzt denken sie über Tiger nach und schauen auf die Prüfung durch die Tigerbrille und seine Mythologie und unterstreichen alles, das nach Tiger aussieht. Daraus machen sie ein Hauptthema, z.B. "ist es nicht wunderbar, dass der Patient von einem Tiger geträumt hat, sie wollten springen und sie trugen einen gestreiften Schlafanzug.". Sie sind von der Tatsache fasziniert, dass die Quelle sich in der Prüfung zeigt, aber das ist eine wirklich allzu simple und oberflächliche "Signaturen"-sicht der Homöopathie. Der Fehler ist, dass sie auf die Prüfung durch die Augen der Substanz schauen; es sollte anders herum sein. Man schaut hauptsächlich  auf die Prüfung. Studieren Sie zuerst die Prüfung und verstehen sie ihre Botschaft und dann versuchen Sie die tieferen Aspekte der Quelle durch dieses Verständnis zu erfassen. Vielleicht finden sich Symptome, die zur Quelle passen, und das ist interessant, aber es ist nicht das interessanteste. Viel faszinierender sind die Symptome, die nicht direkt zur Quelle passen, die Analogien, die sich einstellen, das Unerwartete statt des Erwarteten. Das ist das Reich der Analogien und das ist Homöopathie im tiefsten Sinne. Wie der Igel bei Schokolade. Wir dürfen die Quelle nicht ignorieren, denn wenn man Tiger prüft, hat das seine Bedeutung, aber wir müssen die tieferen Aspekte erkennen. Es hängt davon ab, von wo Sie Ihre Analyse beginnen. Wenn ich solche Prüfungen erhalte, verzweifle ich leicht, denn sie sind so voraussagbar, wir lernen nichts über die tieferen Aspekte.

MB: Und dieses Thema wird dann auf die Familien und Königreiche ausgedehnt…

JS: Königreiche sind eine nette Idee und ich bin sicher, dass sie auf einem gewissen Niveau funktionieren. Aber es ist nicht die höchste Form der Homöopathie, es reduziert uns wieder auf die Signatur. Ich finde dieses Konzept begrenzend und einschränkend. Mein Gefühl ist, es ignoriert die höhere Potenz der Wahrnehmung, Aspekte, die Königreiche transzendieren, die Welt der einfachen Substanz, in der sich alle Reiche vermischen. Warum taucht der Adler bei Helium auf, der Leopard bei Krypton, der Tiger bei Adamas [Diamant], der Igel bei Schokolade, das Schnabeltier bei brassica? Warum erscheint das Tier im Abdomen bei Thuja, woher kommen die Ratten bei Calcium? Warum sieht Tarantula Farben von Pflanzen? Weil es eine übergreifende Analogie zwischen den Königreichen gibt. Ich glaube nicht, dass das Himmelreich in Tiere, Pflanzen und Minerale aufgeteilt ist. Es ist alles in der Informationsspirale vermischt, in der Akasha-Chronik [eine Art Weltgedächtnis Anm. d. Ü.]. Wir arbeiten in einer Welt der Analogien. In der Homöopathie geht es um Analogie und das ist ihre große Macht.

Ich gebe z.B. lieber etwas aus einem anderen Königreich als dem, wie der Patient äußerlich wirkt. Wenn der Patient hereinkommt und wie ein Hund bellt und Sie beißen will, knurrt, agressiv ist und sabbert, was würden Sie ihm geben? Für mich sieht das aus wie Belladonna oder Hyoscyamus. Ich würde ihm nicht Lyssinum geben. Die Prüfung von Lyssinum ist ganz anders. Das bedeutet Pflanzen bringen Tiere hervor, viele Tiere bringen Pflanzen hervor. Wenn man sich Rubriken wie Heftigkeit, Flucht, Misstrauen und Eifersucht anschauen, dann kommen Pflanzen hoch oder Minerale.

MB: Vermutlich mehr Pflanzen …

JS: Hauptsächlich Pflanzen, dann Minerale und sehr wenige Tiere! Es ist also zu simpel zu sagen, dass dies und das das Tierreich repräsentiert. Wie ich schon sagte, ich ziehe dann ein anderes Königreich vor, denn die Analogie ist das Spiel der Homöopathie. Die Isopathie ist eine schwache Form der Homöopathie und dafür gibt es Gründe. Z.B. wenn hier eine Dame sitzt und ich sage ihr: "Ihr Haar ist braun, ihre Lippen sind rot und Ihre Nase hat einen 90° Winkel" – dann wäre sie nicht sonderlich beeindruckt. Aber wenn ich sage: "Ihr Haar ist wie Herbstblätter, Ihre Augen sind wie mandelförmige Seen und Ihr Mund ist wie die Blüte eines Granatapfelbaums"… dann wäre sie vielleicht interessiert. Homöopathie ist Analogie, wie Poesie, Kunst und Musik, es wirkt, weil es etwas anderes gibt und nicht das gleiche. Das macht die Homöopathie so machtvoll und tiefgreifend, weil Analogien stärker sind als Gleiche. Ich will damit nicht sagen, dass ein Tiermittel nicht wirken würde wenn Sie allgemein misstrauisch sind, sich aggressiv verhalten, etc. Es wird wirken, so wie viele Ebenen der Ähnlichkeit in der Homöopathie wirken. Aber wenn man eine weiter gegriffene Analogie verwendet, erhält man eine tiefere Antwort, weil Sie sich weiter von der Isopathie in Richtung Homöopathie bewegen.

MB: Es gibt so viele unterschiedliche Energieebenen, sogar innerhalb eines jeden Königreichs…so wie nicht jede Pflanze flexibel ist, ist nicht jede Pflanze empfindsam. Nicht jedes Tier ist schnell. Was ist mit dem Faultier, dem langsamsten Tier?

JS: Ganz genau. Viele Minerale sind so empfindsam wie Pflanzen, andere so aggressiv wie Tiere, viele Tiere haben pflanzliche Aspekte.

Lassen Sie mich Ihnen noch ein anderes Beispiel in puncto Königreiche geben. Wir haben gerade in meinem Kurs in Minnesota eine Prüfung durchgeführt. Und es gab die Theorie, dass wenn der Prüfungsleiter die Substanz kennt, er sie den anderen durch sein Bewusstsein aufdrängen wird. Ich sagte okay, ich werde nicht wissen, welche Substanz wir prüfen. Ich wählte drei Mittel aus – ein Tier, ein Mineral und eine Pflanze und das Prüfmittel wurde vom Apotheker zufällig ausgewählt, ohne dass ich davon wusste. Nach der Prüfung hörten wir die Geschichten aller Prüfer und ich fragte: "Ihr habt die Prüfung gesehen, ihr habt die Geschichten gehört. Nun sagt mir zu welchem Königreich gehört das Mittel?" 70% sagten Mineral, 30% Tier. Niemand sagte Pflanze. Es war ein wilder Reis.

In all meinen Prüfungen habe ich selten erlebt, dass die Prüfer die Substanz oder auch nur das Königreich korrekt erraten. Wenn die Prüfer es nicht erraten können, wie wollen Sie es in einem Fall bestimmen? Prüfungen bringen eine neue Bilderwelt hervor, nicht das, was wir erwarten.

Das ist das eine, was ich bei den Prüfungen so mag, wenn man das Tier in der Pflanze hervorbringt oder die Pflanze im Tier. So wie in jedem Mann eine Frau steckt und in jeder Frau ein Mann. Ich denke, in jeder Pflanze steckt ein Tier, in jedem Tier steckt eine Pflanze in jedem Mineral steckt eine Pflanze und ein Tier… sie bergen alle ein Menge gegensätzlicher Informationen in sich. Darum ist das Ergebnis einer Prüfung immer eine Überraschung

Wenn Sie also die Homöopathie Wissenschaft nennen wollen, beginnen Sie mit einer Prüfung, ohne Erwartungen oder Vorurteile, ohne zu hoffen, dass "die Substanz sich zeigt". Dann bauen Sie auf dieser Prüfung auf, fassen Sie sie zusammen, als ob alles von einer Person käme, wodurch die versteckte Bedeutung wahrgenommen wird. Arbeiten Sie klinisch damit, erstellen Sie ein Bild. Werfen Sie irrelevante Symptome heraus. Dann erstellen Sie ein besseres Bild. So erhalten wir die bestmögliche Materia Medica.

Ich kann verstehen, dass Menschen nach Abkürzungen suchen, um neue Mittel zu finden, denn vielleicht haben wir immer noch nicht genug Mittel. Aber diese Abkürzungen sollten unter Vorbehalt genommen werden, oft erweisen sich Abkürzungen schlussendlich als langer, harter Umweg.

MB: Vor kurzem habe ich mich mit Jan über Prüfungen unterhalten. Ich fragte ihn, warum er nicht durch Prüfungen bestätigt, was er theoretisch erarbeitet hat und er sagte einiges dazu. Zum einen gab er an, dass Sie einige Mittel des Periodensystems geprüft haben und Symptome fanden, die seine theoretische Vorhersage bestätigt. Er sagte auch, dass er nicht glaubt, dass man Prüfungen durchführen sollte, weil es zuviel Zeit braucht und zuviel Rauschen in ihnen auftritt. Und dass es keine Möglichkeit gibt zu unterscheiden, was Rauschen ist und was ein echtes Symptom.

JS: Ich möchte damit beginnen, dass ich Jan, seine Arbeit und seine Hingabe sehr respektiere, aber ich bin mit diesen Aussagen überhaupt nicht einverstanden. Zuerst einmal bedeutet die Tatsache, dass Prüfungen zeitaufwändig sind nicht, dass wir keine Prüfungen durchführen sollten. Was wir jetzt tun ist für die kommenden Generationen und wenn wir nicht auf einer soliden Basis aufbauen, wohin soll uns das führen? Wenn es um die Heilkunst geht, sollte die Tatsache, dass Prüfungen zeitaufwändig sind, kein Thema sein. Wir haben unsere Materia Medica, unser Erbe, als Ergebnis harter Arbeit, Leiden und Zeitaufwand unserer Vorfahren und es ist nur recht, wenn wir damit fortfahren.

Zum zweiten hat Jan seine ganze Hypothese auf der Basis von Prüfungen aufgebaut. Hätte er die Prüfungen von Aurum,. Sulphur, Calcium Ferrum, Magnesium, etc. nicht gehabt, hätte er niemals seine Materia Medica aufbauen können. Es stimmt auch,  dass ich ihm viele meiner Prüfungen gegeben habe, um ihm bei seiner Arbeit zu helfen und darüber bin ich glücklich. Aber wir sollten keine Steine in den Brunnen werfen, aus dem wir trinken.

Drittens, die Bilder, die Jan erstellt, akkurat oder nicht, sind nur ein kleiner Prozentsatz dessen, was in den Prüfungen hochkommt, ein Bruchteil. Obwohl meine Prüfungen gelegentlich seine Ergebnisse bestätigen, kann ich nicht sagen, dass seine Ergebnisse mehr als einen kleinen Teil der Prüfung ausmachen. Er kann eine hypothetische Essenz für Krypton angeben, was interessant und nützlich ist, aber das ist sehr begrenzt und nur ein Teilaspekt des ganzen Bilds. Es geht um die Stadien eines Projekts und dies ist nur ein kleiner Aspekt des Lebens. Wenn man eine Prüfung durchführt, erhält man ein Bild, das viel akkurater, komplexer und mehrdimensionaler ist.

Ich habe meine Prüfungen mit Jans Bildern verglichen. Es gibt keinen Vergleich zum Umfang und zur Genauigkeit einer Prüfung. Das soll Jans Arbeit auf keinen Fall diskreditieren, ich schätze sie, aber ich kann seine Ablehnung der Prüfungen, die mich überrascht, nicht akzeptieren. Es ist nützlich, seine Ideen zu haben, wenn man keine Prüfung hat. Wenn man z.B. Zirconium verschreiben möchte. Sie denken vielleicht, ein bestimmter Patient könnte das brauchen. Es gibt keine Prüfung, also halte ich mich an Jans Arbeit und das ist großartig. Aber heute las ich die neue Prüfung von Zirconium von Andreas Bjorndal aus Norwegen, sie erhöht das Verständnis des Mittels um viele Grade, es ist ein viel tieferes und umfassenderes Bild.

Was das Rauschen angeht, das bedeutet zufällige Symptome, die während der Prüfung auftreten und doch nicht dazu gehören, das ist ein kleineres Problem. Das Rauschen ist nur ein kleiner Prozentsatz der Symptome. In meinen 30 Prüfungen war das Rauschen kein Problem. Im Gegenteil. Viele Symptome, die ich für Rauschen hielt, erwiesen sich später als sehr wichtig. Man kann das meiste Rauschen herausfiltern. Es gibt mehr Rauschen in Fällen, als in Prüfungen.

Hat man erst einmal die Prüfung durchgeführt, kann man die Qualität der Information nicht mehr vergleichen. Ohne Prüfung erhält man keine merkwürdigen, sonderbaren und auffälligen Symptome, weil man diese Dinge nicht erraten kann. Wenn es selten und merkwürdig ist, dann trotzt es jeder Logik, wie soll man so etwas erraten! Ohne diese Informationen ist es schwierig, die Mittel anzuwenden. Die Homöopathen halten heutzutage Ausschau nach Verallgemeinerungen, wie Königreiche oder das Periodensystem oder Pflanzenfamilien, verschiedene Klassifizierungssysteme, die verallgemeinern. Aber je mehr man verallgemeinert, desto weniger individuelle, merkwürdige und sonderbare Symptome wird man erhalten. Ein merkwürdiges Symptom ist das, was nur wenige Leute haben. Verallgemeinerungen bringen uns nur den gemeinsamen Nenner und wir verlieren wichtige Informationen. Ich sage nicht, dass man Verallgemeinerungen rauswerfen sollte, aber zu behaupten, dies sei der einzige Weg nach vorn und wir sollten die Prüfungen vernachlässigen, ist kurzsichtig. Wir brauchen eine ausgewogene Balance zwischen Verallgemeinerungen und den individuellen und einzigartigen Prüfungen.

Man kann nicht erraten, dass der Granatapfel große Herpesausschläge an den Lippen hervorruft oder das Gefühl, eine Heilige zu sein. Man kann nicht erraten, dass der Saphir Bilder von Papageien hat oder dass Plutonium Wahnideen von Fledermäusen und starkes Nasenbluten hat, welches er trinken will. Das ist merkwürdig, seltsam und auffällig.

Jan sagte einmal bei einer Konferenz, Prüfungen seien nicht akkurat und gab das Beispiel der Prüfung von Lycopodium, von der er behauptet, nichts Diktatorisches käme darin vor. Er sagte, es hat nichts mit dem Bild zu tun, das wir heute haben. Aber das ist irreführend. Zuerst einmal steht in der Prüfung von Lycopodium er sei 'vorwurfsvoll, anmaßend und herrisch', das ist das gleiche wie diktatorisch. Zweitens, die Tatsache, dass die Menschen nicht die Originalprüfung von Lycopodium kennen oder sie nicht anwenden, bedeutet nicht, dass sie nicht gültig ist. Manche Homöopathen halten sich vielleicht an eine moderne Essenz von Lycopodium, aber das verwirft nicht die Prüfung. Wenn sie die Prüfung nicht gelesen, oder darauf verschrieben haben, wie wollen sie wissen, ob sie korrekt ist? Und schließlich gäbe es keine moderne Essenz von Lycopodium wenn wir nicht die ursprüngliche Prüfung hätten, auf der sie vor allem basiert.

Auch dies ist für mich wieder eine Frage der Herangehensweise. Ich sage nicht, Prüfungen seien das einzig Wahre. Ich verwende alle Informationsquellen. Ich stimme mit Massimo überein, der bei der Konferenz sagte, wir sollten Prüfungen, Quellen, Mythologie, klinische Erfahrung, Hypothesen und Familien verwenden – alles sollte verwendet werden und ich mache das auch so. Aber es gibt eine Herangehensweise und diese ist besser, wenn man auf einer soliden Basis aufbaut. Die Prüfung, dann das Verständnis der Prüfung und dann kann der ganze Rest kommen. Wenn man wackelig anfängt, kann man irgendwo landen und jedes Bild erstellen, das man nur will.

Und dann noch Folgendes. Prüfungen sind unsere Tradition. Wir sind eine Wissenschaft, die auf Prüfungen aufgebaut ist. Die Homöopathie ist auch eine schamanische Medizin und eines der Prinzipien ist, dass man seine eigene Medizin nehmen sollte. Hering sagte, dass man sich nicht als Homöopath betrachten kann, wenn man nicht an Prüfungen teilgenommen hat und ich stimme damit überein. Auf diese Weise lernen wir etwas über uns selbst, über Arzneimittel, die Natur, das Universum.

MB: Eine weitere Neuerung, die wir heutzutage bei der Bewertung in Konferenzen und Seminaren oft finden ist, dass die Reaktionsweise des Patienten mit der Quelle des Mittels in Verbindung gebracht wird. Z.B. der Patient 'stürzte sich wie ein Tiger auf…' oder 'flog wie ein Adler'. Sehen Sie diese Veränderungen in Gesten und Bewegungen während der Prüfungen oder ist das sehr weit hergeholt?

JS: Manchmal sieht man das. Bei der Adlerprüfung hatten wir z.B. das Verlangen zu fliegen, Verlangen auf einer Bergspitze zu sein, Träume zu fliegen, etc. Ich glaube allerdings, dass das nicht die interessanteste Information ist. Es ist interessant, aber nicht meine hauptsächliche Priorität. Alles, was wir da machen ist zu sagen 'toll, Prüfungen, können ein Bild hervorrufen, das dem Tier ähnlich ist." Was mich interessiert ist das, was ich nicht erwartet habe. Der Adler hat z.B. eine erstaunliche Sichtweise von gut und böse, er hat Träume von Zügen und wird von parallelen Linien fasziniert, er hat ein besessenes, zwanghaftes Verhalten. Diese Dinge hatte ich nicht erwartet, deshalb interessieren sie mich besonders. Warum sollte ich sonst eine Prüfung durchführen? Nur um zu zeigen, dass sie ähnliche Themen wie die Quelle hervorrufen kann? Das wissen wir schon.

MB: Mir ist die Verwendung bestimmter Teile des Tieres bei der Prüfung aufgefallen. Die Leute besorgen sich einfach das, was am leichtesten von dem Tier zu bekommen ist und dann potenzieren sie es und geben es dem Patienten. Aber es muss doch einen Unterschied bedeuten, ob ich Tigerurin, Tigermilch, einen Tigerknochen oder den ganzen Tiger prüfe.

JS: Ganz klar. Das sind unterschiedliche Prüfungen. Ich kenne das aus vielen Erfahrungen. Zum Beispiel gibt es zwei Adlerprüfungen und sie sind sehr unterschiedlich. In der einen wurde Blut geprüft und eine andere wurde von Divya Chabra mit der Feder durchgeführt. Der ausgewählte Teil macht einen großen Unterschied. Das gilt auch für Pflanzen. Die Prüfung fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob man die Wurzel oder die Blätter verwendet. Das ist eines der Probleme mit den Familien. Wenn manche Mittel einer Familie aus der Wurzel gemacht wurden und andere aus dem Stängel oder aus Blüten oder aus der Frucht, dann macht das in meinen Augen einen größeren Unterschied als die Familie, und das wahre Mittelbild wird sich nur durch die Prüfung zeigen. Nehmen Sie z.B. Phytolacca. Das ist eine meiner Prüfungen, die ich in der 'Dynamischen Materia Medica der Syphilis' veröffentlicht habe. Wenn man das Mittel studiert, findet man viele Wurzelthemen und es ist ganz anders als die anderen Mittel in der Familie.

MB: Und wie ist es mit den Lebensthemen? Können wir ein Mittel über die Lebensthemen finden? Wenn z.B. eine Patientin ein Thema mit der Mutter am Laufen hat, gibt man ein 'muriaticum'. Wenn die Probleme sich eher auf den Vater beziehen, gibt man ein 'carbonicum'.

JS: Ich persönlich finde diesen Gedanken oberflächlich. Es funktioniert für mich nicht und ich mache das nicht so.

MB: Ok. Sie haben zweimal in diesem Interview die Poesie erwähnt und ich habe ein paar wunderschöne Gedichte in Ihrem Syphilis-Buch gelesen. Woher kommt die Inspiration? Ich frage das, weil ich weiß, dass Sie ein Schlingel waren. Und ein Schlingel und Poesie scheinen nicht gut zusammen zu passen.

JS: Im Gegenteil, ich denke einige der besten Dichter waren Schlingel. Dichter sind von Natur aus Schlingel, denn man braucht Leidenschaft, um ein Schlingel zu sein… die Leidenschaft der Freiheit, das eigene Lied zu singen. Ich denke, die Poesie ist eines der Dinge, die der Homöopathie am nächsten steht, denn sie hat ähnliche Grundsätze. So basiert sie z.B. auf Analogien, darin ähnelt sie der Homöopathie. Auch durch das Prinzip weniger ist mehr. In der Prosa verwenden wir eine Menge Worte, aber in der Poesie beschränkt man sich auf ein Minimum. Daher berührt die Poesie tief das innere Wesen, viel tiefer als die Prosa. Ein Gedicht ist wie ein potenziertes Arzneimittel für die richtige Person und es wirkt wie ein Simillimum.

Ich habe mich oft bei den langen Materia Medica Vorlesungen gelangweilt, also habe ich meine in Gedichtform gefasst. Sie können effektiver sein, weil sie auf den Punkt treffen.

Und außerdem ist meine Frau meine Inspiration.

MB: Das ist großartig!

Was mich auch gewundert hat ist, dass Sie so häufig in Ihren Präsentationen Tarotkarten erwähnen. Wo kommt das her?

JS: Das bin nicht ich. Ich kenne mich mit Tarot nicht aus. Die Prüfer träumen davon oder bestimmte Zufälle geschehen, also spreche ich über den Tarot in diesem Zusammenhang. Aber ich kenne mich nicht damit aus, was ich bedaure, denn er ist ein erstaunliches Werkzeug.

MB: Ich hatte mir schon überlegt, dass es eine metaphysische Seite an Ihnen gibt wenn Sie den Tarot verwenden, genau wie Hahnemann sie hatte.

JS: Ich habe natürlich eine metaphysische Seite. Das kann man mit der Homöopathie gar nicht vermeiden. Kent sagt 'Man kann die Medizin nicht von der Theologie trennen'. Daher verwende ich metaphysische Werkzeuge. Aber der Tarot ist nicht meins. Ich nehme eher die Kabbala, denn darüber weiß ich ein wenig mehr. Ich verwende das I Ging, Taoistische Philosophie, Schamanismus, Omen, usw. Aber es fällt mir sehr schwer, mich auf griechische Mythologie einzulassen. Ich kann mich nicht erinnern, wer Prometheus war, es bleibt einfach nicht hängen. Aber ich kann die Bibel verwenden, das ist mir näher. Viele Prüfungen bringen diese Verbindungen hervor.

Ich bin also sehr metaphysisch, aber ich hab auch gern die Füße fest auf dem Boden und gebe auch der Metaphysik eine solide Basis, sonst hebt man ab wie eine Wolke.

MB: Ich habe über Ihre Verbindungen zum Tai-chi und chinesischer Philosophie gelesen, und Ihre Schule heißt ja Dynamis, die Lebenskraft. Was ist also die Lebenskraft für Sie?

JS: Das ist sehr interessant. So wie ich Hahnemanns Lebenskraft verstehe, ist sie ein tierischer, dummer, automatischer Soldat, der nicht selbstständig denkt und oft furchtbare Fehler macht.

MB: Ist das die Seele oder ist es die Energie?

JS: Das ist nicht die Seele. Wäre es die Seele, dann wäre sie intelligent. Im gesunden Zustand ist die Lebenskraft eins mit der Seele, also ist sie auch mit Intelligenz ausgestattet. Genauso verhält es sich bei akuten Erkrankungen. Aber bei chronischen Erkrankungen ist die Lebenskraft von der höheren Intelligenz abgekoppelt und daher macht sie Fehler. Hahnemann sagt das an verschiedenen Stellen, z.B. im § 72. Er sagt, dass die Lebenskraft unvollkommen, ungeeignet und nutzlos ist. Die Leute sagen, die Lebenskraft sei intelligent, weil sie das von Kents Philosophie her kennen. Aber Kent sagte das, als er über § 9 sprach, und da handelt es sich um die Lebenskraft im gesunden Zustand. Im Krankheitsfall ist das erste, was verblödet, die Lebenskraft. Sie beginnt, den falschen Weg zu nehmen.

Alle chronischen Krankheiten sind ihrem Wesen nach autoimmun. In jeder chronischen Krankheit arbeitet die Lebenskraft in die falsche Richtung. Demnach ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine echte Autoimmunkrankheit manifestiert. Die Lebenskraft verblödet plötzlich, weil sie eine niedere Form von Intelligenz ist und in der Krankheit wird sie von der höheren Information abgekoppelt.

Kent sagt, dass die Lebenskraft die Vizepräsidentin der Seele ist. Die Seele entspricht der höheren Intelligenz und ist mit der höheren Intelligenz des Universums verbunden. Die Lebenskraft ist der Soldat. Das Problem entsteht, wenn die Kommunikation zwischen der Seele und der Lebenskraft schief geht. Es ist wie ein sehr guter Soldat, der aber leider den falschen Kampf kämpft, weil die Kommunikation mit dem General unterbrochen ist.

Die Lebenskraft hat also nur eine niedrige Intelligenz, eine tierische Intelligenz und braucht die Verbindung mit der übermenschlichen Seele. In Thuja, wenn die Seele den Körper verlässt, bleibt ein Tier im Bauch zurück. Dieses Tier ist die Lebenskraft, die nicht selbstständig auf einer höheren Ebene denken kann. Und die überbewusste Seele schaut von oben drauf und macht dem armen dummen Tier Vorwürfe. Gleichzeitig sagt die niedere Lebenskraft 'ich bin unter übermenschlicher Kontrolle' und die Seele denkt, dass da unten ein hässliches Tier ist.

Die Lebenskraft bekämpft ein Problem, das es nicht mehr gibt. Und dabei nimmt sie alle ihre Kräfte zusammen und marschiert in die falsche Richtung. Wenn sie wieder mit dem Imperator verbunden werden kann, wird sie wieder in die richtige Richtung marschieren und den intelligenten Kampf wieder aufnehmen.

Im gesunden Zustand geht die Kommunikation der Intelligenz von oben bis ganz nach unten – Gott, einfache Substanz, die Seele, die Lebenskraft, das Nervensystem – alles ist intelligent. Es gibt keine Trennung. In der Krankheit gibt es die Abkoppelung, sie beginnen, in unterschiedliche Richtungen zu funktionieren.

MB: Können Sie uns Ihre Ansichten über das Konzept der Miasmen mitteilen – ob es Gültigkeit hat und ob es drei, vier oder sieben Miasmen gibt. Wie sehen Sie dieses Konzept?

JS: Das ist eine große Frage. Sind sie gültig? Das mag wohl so sein. Wird der Begriff so verwendet, wie Hahnemann ihn geprägt hat? Ich glaube nicht. Hahnemann sagt sehr klar, dass er die Miasmen nicht als Trick ausgewählt hat, um das Mittel zu finden. So bald Menschen vom Miasmenkonzept hören, denken sie, oh, ein weiterer Kniff, um das Mittel zu finden. Hahnemann sagt, darum geht es nicht. Miasmen sind richtungsweisend, sie zeigen uns, ob wir uns auf dem psorischen Weg, dem sykotischen oder dem syphilitischen Weg befinden. Mit welcher Mittelgruppe sollten wir arbeiten? Welche Art Krankheit haben wir vor uns? Das ist keine große Hilfe, um das Mittel zu finden, genau wie die Information, ob der Patient heiß oder kalt ist, die Mittelsuche im günstigsten Fall um 50% verringert. Wenn man also sagt, ein Patient ist syphilitisch, dann haben wir immer noch ein paar hundert Mittel zur Auswahl. Miasmen dienen uns dazu, das Schiff durch die chronischen Krankheiten zu manövrieren. Deshalb hat das Buch über die chronischen Krankheiten zwei Seiten. Auf der einen Seite geht es um Follow-up Verschreibungen und Langzeit-Fallmanagement, auf der anderen um die Miasmen.

Die Miasmen sind das Meer, durch das wir das Boot steuern. Auf welchem Meer befinden wir uns – ist es das Mittelmeer, der Pazifik oder der Indische Ozean? Anderenfalls wird es schwierig zu sagen, was los ist. Die Miasmen sind als ein Konzept, um zu verstehen, ob wir uns in Richtung Heilung bewegen. Was passiert, wenn das Bild sich plötzlich drastisch von einem Miasma zu einem anderen hin verändert, nach ein paar Verschreibungen? Ich denke also, dass Hahnemanns Miasmen sehr tief und philosophisch erstaunlich waren. Hahnemanns Definition der Psora, so wie ich sie verstehe, ist, wo jeder einen anderen Aspekt der Wahrheit sieht, durch die Augen seiner Identität und seiner Vorurteile. Es ist wie mit den Blinden und dem Elefanten – der eine erfühlt ein Bein, der andere den Rüssel. Das Ziel, die Psora zu heilen ist, dass alle die gleiche große Wahrheit miteinander teilen. Es gibt dann immer noch eine Vielfältigkeit, aber alles kommt aus der einen allgemeinen Wahrheit – keine Kriege mehr, kein Hunger mehr, kein Hass mehr, keine Eifersucht mehr, keine Teilung mehr. Philosophisch gesehen ist das also ein wichtiges Konzept und es hat praktische Auswirkungen, aber ist kein großer Kniff, um das Mittel zu finden.

Gibt es drei, oder mehr Miasmen? Der Definition nach gehören die Miasmen zur chronischen Krankheit. Wenn man sich also streng an Hahnemanns Ausdrucksweise hält, können Miasmen keine akuten Infektionen wie Typhus sein, der ja nun einmal eine akute Erkrankung ist. Eine Einteilung in Typhus mag ein gültiges Konzept sein, aber nach Hahnemanns Definition kann man eine akute Krankheit nicht ein Miasma nennen. Es ist eine Seuche. Miasmen sind chronisch und Seuchen sind akut. Es ist wichtig, wie man es nennt, denn die Definition hat eine theoretische Basis und führt zu bestimmten Handlungen. Wir sollten Worte präzise verwenden.

Was nun die Zahl der Miasmen angeht, die Leute teilen die Dinge auf verschiedenste Weisen auf und im Hinblick auf die Fallanalyse sind sie alle gültig. Man kann jeden Fall auf 3, 4, 5, oder 10 Arten unterteilen, je nach dem Analysesystem, das man benutzt. Man kann Ayurveda nehmen und nach den 3 Elementen einteilen, man kann die chinesische Medizin anwenden und nach den 5 Elementen aufteilen. Man kann das I Ging verwenden und in 6 aufteilen; man kann die Kabbala nehmen und in 10 aufteilen. Man ist völlig frei zu entscheiden, wie man den Kuchen aufteilt.

In meinem Buch über die Syphilis erforsche ich die Essenz eines Miasmas. Es ist sehr schwierig, die Essenz der Miasmen durch Fälle zu bekommen. Wenn man einen Fall in der Klasse anschaut und fragt, welches Miasma das ist, dann stimmt man nie überein. In den meisten Fällen finden die Leute 3 Miasmen. Miasmen durch abstrakte theoretische Ausdrücke zu definieren, wie z.B. Zerstörung, Funktionsstörung, ist auch verzwickt und oft zu schwammig.

Ich fand also, dass die reinste Form miasmatischer Studien über die Materia Medica geht. Daher habe ich 11 rein syphilitische Mittel ausgewählt, Aurum, Mercurius, etc. Ich forschte nach dem tiefsten Verständnis jedes dieser Mittel. Dann fand ich den ihnen allen gemeinsamen Nenner und arbeitete so ein Konzept des syphilitischen Miasmas heraus. Natürlich geht man zu den einfacheren Dingen, wenn man zum gemeinsamen Nenner geht. Es ist eine lange und faszinierende Reise und die Zusammenfassung des Buches ist eine Zeichnung, nur eine schlichte Zeichnung.

MB: Es ist ein schönes Buch. Normalerweise sollte man Bücher über die Materia Medica nicht auf einen Ansitz lesen, aber als ich Ihr Buch bekam, las ich es in einem Rutsch durch.

JS: Das weiß ich zu schätzen! Ich habe versucht, der ermüdenden Norm der Materia Medica zu entkommen.

MB: Ja, es ist sehr schön. Jedes Mittel wird auf andere Art dargestellt.

Sie haben gerade noch ein Projekt herausgebracht, das Repertorium der Gemütszustände. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

JS: Es entsprang einem praktischen Bedürfnis. Es basiert auf der Bönninghausen Methode der allgemeinen Rubriken, aber auf der Gemütsebene. Hat man also einen Patienten, der von Schlangen spricht und von Schlangen träumt und man muss sich entscheiden, welche Rubrik man nehmen will, ob es 'Wahnidee, Schlangen', 'Furcht vor Schlangen' oder etwas anderes ist, so kann man nun einfach meine allgemeine Rubrik 'Schlangen' verwenden, welche jedes Mittel enthält, das irgendwie mit Schlangen zu tun hat. Dasselbe ist es mit Geld. Der Patient sagt "ich brauche eine Menge Geld". Warum wollen Sie eine Menge Geld – damit sie reich sind oder damit sie nicht arm sind? Und nachts träumt er von Gold. Das ist schwierig zu differenzieren. Also habe ich alle Mittel, die ein Geldthema haben in einer Superrubrik zusammen gefasst – einer Bönninghausen Rubrik. Wenn ich nun ein herausragendes Geldthema in einem Fall habe, wird sich das Mittel mit 98%iger Wahrscheinlichkeit in dieser 'Geldrubrik' wieder finden. Ich habe andere Rubriken erstellen, die ich für den modernen Behandler für wichtig halte, wie 'vermindertes Selbstwertgefühl', 'Versagen', 'obsessiv, zwanghaft', 'Wasser', 'Tiere', 'Opfer', 'Messer', etc. Wenn also jemand ein Wasserthema hat wie Träume von Wasser, oder Verlangen ins Meer zu springen, wird man das Mittel in der Wasser-Rubrik finden. Das ist wie das Arbeiten mit Ähnlichkeiten. Wenn ich also einen Fall habe mit Themen von Perfektionismus, Geld und Knochen, dann habe ich zwei Rubriken aus meinem Repertorium und eine Knochenrubrik aus Bönninghausen oder einem ähnlichen Repertorium, drei Superrubriken, die mir 30-40 Mittel ausgeben. Damit kann ich dann arbeiten. Ich kann diese 30 Mittel anschauen und in Nullkommanichts dasjenige finden, das zu dem Fall passt. Das macht es leichter und sicherer. Wir haben die Betonung auf die Qualität gelegt. Jedes Mittel ist von mir persönlich und von zumindest einem anderen Homöopathen überprüft worden.

Ich habe in jeder dieser Rubriken ebenfalls die Mittel destilliert, die das Thema intensiv und qualitativ wiederspiegeln. In dieser Hinsicht habe ich Phataks Repertorium nachgeeifert. Ich liebe Phatak, seine Arbeit. Zurzeit gibt es dieses Repertorium innerhalb des RADAR Repertoriumprogramms.

MB: Was ist mit Ihrer Software zur Fallaufnahme?

JS: Meine Software ist zur Fallaufnahme. Es ist ein Werkzeug für Homöopathen. 25 Jahre lang dachte ich, es sei nicht gut einen Fall zu tippen, dass ich von Hand schreiben müsse. Nach 25 Jahre sagte ich, meine Güte, denn nach dieser Zeit hatte ich zwei Zimmer in meinem Haus voll mit Aktenschränken und verlor ständig irgendwelche Fälle oder konnte meine eigene Schrift nicht mehr lesen. Jeden Tag musste ich Fälle heraussuchen, sie zu anderen Praxen mitnehmen, mit ihnen fliegen und sie wieder ablegen. Es brauchte lange, um auf einen Fall zuzugreifen. Kurz gesagt, es war nicht mehr praktisch.

Ich begann, meine Fälle zu tippen und merkte, dass es das Leben so viel leichter macht. Der Computer kommt nicht zwischen Sie und den Patienten. Ich kann tatsächlich eine bessere Beziehung zum Patienten aufbauen, wenn ich tippe. Ein allgemeiner Fehler ist, dass die Leute denken, Du müsstest den Patienten die ganze Zeit ansehen. Das ist tatsächlich ziemlich unangenehm für den Patienten, wenn man ihnen die ganze Zeit in die Augen schaut. Und der Homöopath wird gestresst und müde. Nun tippe ich und schaue, tippe und schaue – im richtigen Moment. Natürlich können die meisten Leute heutzutage ganz gut tippen, jeder benutzt Email.

Jetzt kann man in ein Textverarbeitungsprogramm tippen, aber das ist für Homöopathen nicht sehr nützlich. Der Case Taker ist für Homöopathen entwickelt worden. Er enthält homöopathische Lexika, medizinische Bücher, homöopathische Abkürzungen, und einen homöopathischen Vervollständiger. Das macht das Tippen für den Homöopathen viel leichter und effizienter. Und es hat eine Index-Funktion, in der man den Fall indexieren kann und leicht die Hauptzüge in den Follow-ups sehen kann. Es gibt keine Formulare und man muss nicht wählen, in welchen Abschnitt man den Fall eintippt. Man tippt einfach, was der Patient sagt und die Software klassifiziert die Symptome automatisch in Allgemeines, Gemüt, Träume, Besonderheiten, Nahrungsmittelverlangen, etc, so dass es einfacher wird, die Informationen und den Fall zu managen. Wenn man sich den Fall nach zwei Monaten wieder anschaut, kann man auf einen Blick sehen, was die Hauptthemen waren. Der Case Taker denkt nicht für Sie. Er legt nur die Information bereit, so dass man sie besser verarbeiten kann. Daraus ergibt sich eine effizientere Praxis.

Eine weitere großartige Einrichtung ist, dass man zwei oder mehr Follow-ups gleichzeitig anschauen kann, das ist sehr angenehm. Wenn man ein Textverarbeitungsprogramm verwendet, muss man mehrere Dateien gleichzeitig öffnen und zwischen ihnen hin und herspringen, oder man muss ständig scrollen. Im Case Taker hat man den Index, mit dem man von Thema zu Thema in der Erstanamnese springen kann, während man gleichzeitig das zweite Gespräch erfasst. Diese Software wurde von Homöopathen für Homöopathen entwickelt. Es geht nicht darum, das Mittel zu finden. Es geht um gute Fallaufnahme, gute Mitschriften, die uns helfen, den Fall zu analysieren und zu verstehen, sowie unsere Praxis gut zu verwalten.

MB: Jeremy, Sie haben in England gelebt, aber Ihre Wurzeln liegen in Israel.

JS: Meine Wurzeln sind in Israel. Jetzt verbringe ich Zeit in beiden Ländern.

MB:  Also, wir wissen, was in Großbritannien los ist. Es gibt eine Menge Debatten über die Homöopathie. Wie ist es in Israel? Gibt es dort Homöopathie?

JS: Israel ist sehr gut im Bereich Homöopathie. Das alternative System ist gut repräsentiert und in die Schulmedizin integriert. Alle Versicherungen zahlen für alternative Behandler. Ich habe gerade eine Vorlesung auf einer Konferenz über alternative Medizin gehalten und 600 Schulmediziner kamen. Und wir sprechen von einem Land mit 6 Millionen Einwohnern.

Viele Krankenhäuser haben eine Abteilung für alternative Medizin. Es ist ein sehr fortschrittlich denkendes Land und die Menschen sind offen für alternative Medizin. Das ist ziemlich gut im Vergleich zu anderen Ländern. Es gibt keine systematischen Angriffe auf die Homöopathie. Seit ich in Israel bin, war ich zwei oder dreimal im Radio und auch im Fernsehen.

In Großbritannien ist das ganz anders. Wie Sie schon in Ihrer großartigen E-Mail neulich hervorgehoben haben. Es gibt instrumentierte Angriffe auf die Homöopathie in Großbritannien und die Ergebnisse sind niederschmetternd. Die Homöopathie war so erfolgreich geworden, dass die Pharmaunternehmen Angst bekamen und anfingen, alle möglichen Leute zu finanzieren, damit sie die Homöopathie angreifen. Es ist lebenswichtig, dass wir in dieser Angelegenheit zusammen arbeiten, denn das ist erst der Anfang. Ich unterstütze Ihre Kampagne ganz und gar und hoffe, das wird der Anfang einer Antwort, denn bisher waren die Reaktionen sehr schläfrig.

MB: Heute als Sie die Konferenz beendeten, waren Sie sehr optimistisch in Bezug auf die Zukunft der Homöopathie. Welche Zukunft sehen Sie in praktischer Hinsicht für die Homöopathie voraus, in Anbetracht des derzeitigen Szenarios einer Strömung, einer Welle gegen die Homöopathie?

JS: Ich kann nicht sagen, dass ich völlig optimistisch wäre. Ich habe auch die pessimistische Seite angeschaut. Wenn wir das Spiel richtig spielen, werden wir weiter kommen. Wenn wir es nicht richtig spielen, werden wir scheitern. Die Homöopathie ist derzeit in einer heiklen Lage. Meiner Meinung nach werden diese Angriffe von sehr mächtigen Organisationen koordiniert. Der Markt ist groß und zieht Aufmerksamkeit auf sich. Wenn die Nachfrage nach Homöopathen sinkt, wie das geschehen ist, dann verringert sich die Zahl der Schulen und alles andere auch. Wenn die Leute kein Geld damit verdienen können, ist es schwierig zu praktizieren.

Auf der anderen Seite ist die Bewegung an der Basis sehr stark. Meine Botschaft heute war, dass wir an allen Aspekten der Homöopathie arbeiten müssen – Schulen gründen, gute, solide Ausbildungen, Forschung, Entwicklungshilfe, Epidemien, Sponsoring und Werbung, Politiker und Berühmtheiten, die Homöopathie anwenden, Zeitungen, Fernsehen, Bücher. Wir müssen alles geben, was wir haben und es wäre besser, wenn wir das als ein harmonischer Organismus täten.

MB: Ja, in Großbritannien hat man gerade eine Studie unter den Mitgliedern der Homöopathischen Gesellschaft [Society of Homeopaths] durchgeführt und das Ergebnis ist, dass die Mehrheit der Homöopathen dort weniger als 10 Patienten pro Woche empfängt.

JS: Ja, es ist sehr schwer. Sie können davon nicht leben. Der Grund dafür ist vielleicht, dass die Anzahl der Schulen zu schnell wuchs. Es gab kein organisches, langsames Wachstum. Plötzlich waren da zu viele Schulen, zu viele Homöopathen und nicht genug Patienten. Und zweitens haben die Angriffe ihren Tribut gefordert.

Es ist ein Problem, denn in England bekommen wir die jungen Leute nicht dazu, Homöopathie als ersten Beruf zu erlernen. Wir haben sehr gute Leute, die zur Homöopathie als zweitem Beruf kommen, besonders Mütter. Das ist eine wunderbare, intelligente und erfahrene Quelle, aber wir brauchen auch die Power der jungen Akademiker. Es ist schwierig, eine homöopathische Praxis zu gründen, denn man braucht viel mehr Patienten als in der Osteopathie, der Akupunktur oder der Schulmedizin. Man sieht einen Patienten alle sechs Wochen und andere sehen ihre Patienten wöchentlich oder zweimal pro Woche, da ist es leichter, einen Patientenstamm aufzubauen. Es kann 2-3 Jahre für einen Homöopathen dauern, eine Praxis aufzubauen.

Es ist Zeit, das System zu verändern. Wir müssen sachgerechte Forschungen durchführen und davon brauchen wir ganz viel und der Welt zeigen, dass die Homöopathie wirkt. Trotz aller neuen Forschungsergebnisse wird behauptet, es gäbe keine Beweise. Wir müssen es Ihnen ins Gesicht schleudern, in den Zeitschriften, im Fernsehen. Das kann einen Unterschied machen.

MB: …und gute Prüfungen!

JS: Ja, gute Prüfungen auch. Aber vor allem müssen wir als Gruppe näher zusammen wachsen. Was Sie tun ist großartig. Ihr Ezine hilft uns, zusammen zu rücken, bekannter zu werden. Aber wir müssen auch nach Außen gehen. Wir müssen unsere Forschung verbessern und sie in die Außenwelt bringen. Ich habe zusammen mit Kollegen an den Mechanismen der Prüfungen geforscht. Aber mein größtes Interesse ist die Forschung im Bereich der homöopathischen Behandlung von AIDS. Ich bin dabei, in Afrika eine Forschung in Gang zu bringen und obwohl es eine Herausforderung ist, das Geld dafür zu bekommen, freue ich mich doch darauf, das zu tun, weil ich glaube, dass es die Fähigkeit der Homöopathie zeigen wird, diese schwere Krankheit zu behandeln.

Wenn Sie Eindruck machen wollen, brauchen Sie wasserdichte Forschungsergebnisse. Es kommen eine Menge Forschungsergebnisse herein, aber die Leute außerhalb der Homöopathie wissen nichts davon. Darum muss sich die ganze Gemeinschaft in all diesen Bereichen abmühen. Dann werde ich optimistisch.

MB: Ich hoffe auch, dass die ganz Gemeinschaft sich um diese Themen herum versammeln wird, trotz der Unterschiede in unserer Art zu praktizieren. Wir können zusammen kommen und zusammen der Bedrohung von Außen entgegen treten.

Und schließlich – wie alt sind Ihre Olivenbäume jetzt?

JS: Meine Olivenbäume sind so alt wie meine Homöopathie. Als ich in Israel lebte und 1979 mein Grundstück gekauft habe, beschloss ich, die Homöopathie zu erlernen. Ich musste entscheiden, was ich vor meiner Abreise nach Großbritannien tun sollte – ein Haus bauen oder Olivenbäume pflanzen? Ich fand Bäume besser als ein Haus. Also pflanzte ich vor 28 Jahren 60 Olivenbäume und reiste ab, um die Homöopathie zu erlernen. So alt sind also meine Bäume. Und ich habe eine Prüfung mit meinen Oliven gemacht, die sehr faszinierend war, ein Abglanz des Weltfriedens. Die Olive ist ein Symbol für Nahrung und Frieden und das ist mein Wunsch für die globale Homöopathie.

MB: Danke, Jeremy, dass Sie Ihre wertvollen Gedanken mit uns geteilt haben. Ich hoffe unsere Leser werden innehalten und über das, was Sie gesagt haben, nachdenken. Ich schätze Ihre Meinungen und Ihre Weisheit sehr. Danke, dass Sie bei uns auf dem heißen Stuhl waren.

JS: Vielen Dank! Ich weiß das zu schätzen.

(Ein herzliches Dankeschön an Tina Quirk für Ihre Hilfe bei der Abschrift dieses Interviews.)