Vorträge über das Organon der Heilkunst - Zum Verständnis des § 5 - Teil 1

Vorträge über das Organon der Heilkunst - Zum Verständnis des § 5 - Teil 1

Author: 
Manish Bhatia

Im § 5 heißt es:

Als Beihülfe der Heilung dienen dem Arzte die Data der wahrscheinlichsten Veranlassung der acuten Krankheit, so wie die bedeutungsvollsten Momente aus der ganzen Krankheits-Geschichte des langwierigen Siechthums, um dessen Grundursache, die meist auf einem chronischen Miasm beruht, ausfindig zu machen, wobei die erkennbare Leibes-Beschaffenheit des (vorzüglich des langwierig) Kranken, sein gemüthlicher und geistiger Charakter, seine Beschäftigungen, seine Lebensweise und Gewohnheiten, seine bürgerlichen und häuslichen Verhältnisse, sein Alter und seine geschlechtliche Function, u.s.w. in Rücksicht zu nehmen sind.

ODER

Es hilft dem Arzt eine Heilung herbeizuführen, wenn er die Daten über den wahrscheinlichsten Anlass einer akuten Krankheit und die signifikantesten Momente der gesamten Krankengeschichte bei einer langwierigen auszehrenden Krankheit herausfinden kann, damit es ihm möglich wird, die Grundursache herauszufinden. Die Grundursache für eine langwierige auszehrende Krankheit sitzt normalerweise auf einem chronischen Miasma auf. Bei der Untersuchung des Patienten sollte der Arzt in Betracht ziehen:

1. Die wahrnehmbare körperliche Verfassung (besonders im Falle einer langwierigen Krankheit),

2. Geistige und emotionale Eigenarten,

3. Beruf, Beschäftigung,

4. Lebensstil und Gewohnheiten,

5. Soziale und häusliche Beziehungen,

6. Alter,

7. Sexuelle Funktionen, usw.

Wenn Sie einen akuten Fall homöopathisch behandeln, ist einer der wichtigsten Punkte, die 'erregende Ursache' zu kennen - nicht das Virus oder die Bakterien - sondern die Ursache, die den Körper für eine Erkrankung empfänglich machte, die ‚Ursache’, die die Empfänglichkeit ‚erregte’.

In der konventionellen Medizin wird das Auftreten von einer akuten Krankheit ganz einfach so verstanden – Sie kommen mit einem Krankheitserreger in Kontakt, und Sie erkälten sich oder bekommen ein Fieber oder einen Durchfall oder irgendeine andere akute Krankheit. Sie fragen, warum einige Leute für Erkältungen anfälliger sind. Und die simple Antwort ist, 'dass sie ein schwaches Immunsystem haben'. Aber in der Homöopathie gehen wir über solche einfache und oberflächliche Erklärungen bezüglich akuter Krankheiten hinaus. Wir glauben, dass es unzählige Faktoren gibt, die unsere Homöostase, unsere Vitalität stören können und die uns für eine Krankheit anfällig machen können. Diese Faktoren, die unsere Empfänglichkeit 'erregen', können von physischen Faktoren wie Hitze, Kälte, Regen, Luftfeuchtigkeit, der Sonne ausgesetzt sein abhängen, oder von Faktoren wie übermäßiges Essen oder Maßlosigkeit bei was auch immer, seien es Nahrungsmittel, Getränke oder Sex; von geistigen Faktoren, wie zu viel Stress im Studium, zu viel fernsehen, emotionale Faktoren, wie der Verlust einer geliebte Person oder Liebeskummer. Viele dieser Faktoren, wenn sie lange bestehen bleiben, können zu chronischen Zuständen führen. Aber oft ist die erste Reaktion auf einen solchen Stress eine akute.

Lassen Sie mich einige Beispiele für 'erregende Ursachen' von akuten Krankheiten geben: Wenn eine Verstopfung auf einen geistigen Schock oder eine nervliche Belastung einsetzt, könnte Mag. carb. das Mittel sein; wenn Sie sich nach dem Haareschneiden erkältet haben (nicht nach dem Haare richten, sondern nach einer Rasur oder einem Bürstenschnitt), dann könnte Nux vomica oder Belladonna Ihr Mittel sein; wenn Sie nach dem Essen fetter Nahrungsmittel einen Husten bekommen, dann könnten Mag. mur. oder Pulsatilla ihre Mittel sein, wenn Sie nach dem Trinken von kaltem Wasser an einem heißen Tag Durchfall bekommen, könnte Veratrum album Ihr Mittel sein. Ich kann weitermachen, um Hunderte weiterer Beispiele zu nennen, aber der Punkt, um den es hier geht, ist, dass die ‚nervliche Belastung’, der 'Haarschnitt', die 'fette Nahrung' usw. selbst keine Krankheiten erregen. Sie stören nur das fein abgestimmte Gleichgewicht in unserem Körper, machen ihn für die Wirkung von Krankheitserregern empfänglicher, was letztlich zur Entwicklung von 'Krankheits'-Symptomen führt.

Eine weitere wichtige Sache ist, sich daran zu erinnern, dass das richtige Mittel nicht nur die 'erregende Ursache' abdecken soll, sondern auch die vorliegende Symptomatik.

Ein akutes Leiden zu behandeln, ist nicht immer einfach, weil die 'erregende Ursache' nicht immer offensichtlich ist. Dennoch ist der Prozess der Mittelfindung in einem akuten Fall verglichen mit chronischen Fällen ein direkter. Es ist unwahrscheinlich, dass Ihnen eine Person, die an einer chronischen Magenstörung leidet, den schlecht behandelten Typhus beschreiben wird, an dem sie im Alter von drei Jahren litt. Ein Alzheimer-Patient könnte sich nicht einmal an den Namen seiner ersten großen Liebe erinnern – geschweige denn an die Qual, die ihre Affäre mit jemand anderem verursachte. Eine Person, die an einer kongestiven Herzinsuffizienz leidet, wird kaum einen Diebstahl in ihrem Haus vor 20 Jahren mit dem Ausgangspunkt ihrer Krankheit in Verbindung bringen. Also ist es nicht immer einfach, eine 'erregende' Ursache genau zu bestimmen, welche eine chronische Krankheit auslöste.

Wie also behandeln wir eine chronische Krankheit systematisch? Wenn wir nur damit beginnen, die 'gegenwärtigen Beschwerden' in einem chronischen Fall zu behandeln, werden wir nicht in der Lage sein, in der Mehrzahl der Fälle über eine 'Linderung' hinaus zu kommen. Genau wie bei einem akuten Fall, müssen wir bei chronischen Fällen ebenfalls den vollständigen Verlauf der Krankheit auswerten. Aber wie? Bei akuten Fällen ist es einfach, den Verlauf auf die Minute und Stunde genau aufzuzeichnen, wie aber werten Sie eine chronische Krankheit aus, die viele Jahrzehnte umspannt? Hahnemann gab die Antwort – schenken Sie den bedeutungsvollsten Momenten aus der ganzen Krankheits-Geschichte des langwierigen Siechthums Beachtung.

Eine chronische Krankheit entwickelt sich nicht über Nacht, und häufig kommen Patienten mit jahrzehntelangen Krankengeschichten zu uns. Während des gesamten Lebens der Patienten gibt es normalerweise Episoden von bemerkenswerter akuter Krankheit, ein Ausgangspunkt, von dem an die chronische 'Krankheit' identifiziert wird, gefolgt von irgendeiner Behandlung (normalerweise konventionell/allopathisch), von der an die Intensität und Vielfalt der Beschwerden allmählich ebenso zunimmt wie das Einnehmen von Arzneien! Wenn Sie damit beginnen, einen chronischen Fall zu behandeln, müssen Sie all diese Information sammeln, um klug behandeln zu können. Aber wie helfen alle diese Informationen bei der Behandlung? Wie hilft die vergangene Krankengeschichte bei der Arzneimittelwahl und für das Fallmanagement? Hahnemann sagt, dass diese Informationen - die Zurückverfolgung - die Grundursache ausfindig machen lässt, die meist auf einem chronischen Miasm beruht – das heißt, sie ermöglicht es Ihnen, das zugrunde liegende Miasma (die Empfänglichkeit) des Patienten zu identifizieren, was normalerweise die 'Grundursache' für eine chronische Krankheit ist.

Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben. Nehmen wir an, dass Sie vier Asthmapatienten haben. Sie alle zeigen die gewöhnlichen Zeichen und Symptome des Asthmas, wie Atemlosigkeit und keuchende Atmung, Verschlimmerung bei Kälte, Anstrengung und oft auch in der Nacht, unproduktiver Husten usw. Dies ist das vorliegende Bild der Hauptbeschwerde. Geben wir daher ihnen allen dasselbe Mittel? Lassen Sie uns tiefer in ihre Krankengeschichte eintauchen: Einer von ihnen wurde in früher Kindheit für asthmatisch erklärt, und beide seiner Eltern waren asthmatisch. Der Zweite hatte vor zehn Jahren ein Ekzem an beiden Beinen. Es wurde über Jahre mit Kortikosteroiden unterdrückt, und er entwickelte allmählich gelegentliche Episoden von Atemlosigkeit. Der Dritte litt gewöhnlich an häufigen Erkältungen, die normalerweise mit Antibiotika behandelt wurden. Später entwickelte er eine allergische Nasenschleimhautentzündung mit einer Empfindlichkeit gegen Staub, Milben, Pollen, starke Gerüche und auf viele andere Dinge. Er fuhr fort, über Jahre antiallergische Medikamente einzunehmen und allmählich begannen sich Symptome von unproduktivem Husten und Atemnot zu manifestieren. Der Vierte ist ein Bergbauarbeiter und hat 20 Jahre lang in Kohlebergwerken gearbeitet. Seine Atemlosigkeit hat über die Jahre allmählich zugenommen. Der erste Fall mit einer auffälligen Familiengeschichte ist eindeutig sykotisch, und die Arzneien, die für ihn wirken könnten, sind Nat. sulph. und Medorrhinum. Der zweite Fall, der mit der Geschichte der Unterdrückung einer Hautkrankheit ist eindeutig psorisch, und die für ihn wahrscheinlichste Arznei ist Sulphur. Und der Dritte mit merklicher Hypersensibilität sieht sehr nach Syphilitiker aus und die Arznei, die für ihn wirken könnte, ist Merc. sol. Der Letzte leidet an einer pseudo-chronischen oder Berufskrankheit. Hahnemann hat gesagt - "...Grundursache, die meist [NICHT IMMER] auf einem chronischen Miasm beruht ". Der letzte Fall fällt in diese Kategorie, wo die Grundursache kein chronisches Miasma ist. Die Arznei, die diesem Fall helfen könnte, ist Stannum.

Dies ist nur ein grobes Beispiel dafür, wie sich der Ursprung und der Verlauf einer Krankheit auf unsere Mittelwahl auswirken. Es könnte feinere Abstimmungen geben, die von den gesamten Falldetails und den Modalitäten abhängen.

Aber unsere Arbeit hört hier nicht auf. In chronischen Fällen müssen wir, außer die Grundursache zu finden, auch die Informationen über die physische und geistige Verfassung des Patienten, über seinen Beruf, seiner Art zu leben, seine Gewohnheiten, seinen Lebensstil, seine Beziehungen und viel mehr ausfindig machen. Um die Wichtigkeit all dieser Faktoren im Detail zu verstehen, brauchen wir einen weiteren Vortrag. Bis wir uns also wieder treffen, verdauen Sie erst einmal die Wichtigkeit der erregenden - und der Grundursachen in der homöopathischen Behandlung.