Klinisches Repertorium der Homöopathie

Klinisches Repertorium der Homöopathie

Von Robin Murphy

ISBN 978-3-921383-98-8

-- Buchrezension Von Siegfried Letzel

 

Für viele Homöopathen sehnsüchtig erwartet, ist Robin Murphys oft zitiertes Repertorium, das in englischer Sprache bereits in seiner 3. Auflage existiert, nun auch in deutscher Sprache erschienen.

Wie schon vom Narayana Verlag nicht anders gewohnt, kommt auch diese Neuerscheinung als qualitativ hochwertiges Produkt auf den Markt, was zumindest die materielle Herstellung des Buches betrifft. 2289 Seiten (ohne die Werbung am Ende des Buches) wurden auf hochwertiges Bibelpapier gedruckt, und mit 14 X 22 cm ist das Buch für die Quantität an Inhalt schon fast, neben der Taschenapotheke, für das normale Reisegepäck geeignet, wenn es einmal auf die große Reise geht.

Der Autor entwickelte ein Repertoriumsschema, das nach seiner Meinung den Zugriff zu Rubriken ‚auf allen Ebenen’ erleichtert, um ein klareres Bild der anatomischen, physiologischen und klinischen Rubrikgruppen zu bekommen.

Murphy hat das Repertorium in 74 Kapitel aufgeteilt, nicht nach dem gewohnten Kopf-zu-Fuß-Schema, sondern es alphabetisch geordnet.
Dieser Entwurf soll helfen, dass die Einträge mit Hahnemanns anatomischen und physiologischen Kategorien besser übereinstimmen. Dieses Schema soll die natürlichste Organisationsmethode für große Informationsmengen sein, wodurch das Repertorium in Einklang mit den homöopathischen Materia Medicae gebracht wird.

Es finden sich ‚neue’ Kapitel wie Becken, Brustdrüsen, Gallenblase, Gehirn, Hüfte, Impfungen, Kinder, Konstitution, Krebs, Nacken, Ohnmacht, Puls, Schwäche, Schwangerschaft, Träume, Zeit.

Zum Beispiel mit der Zusammenfassung aller Lungenkapitel, die sich in anderen Repertorien in dem Kapitel ‚Brust’ verteilen, glaubt Dr. Murphy einen leichten Übergang von lokalen Kapiteln zu allgemeinen Kapiteln und umgekehrt zu erlauben.

Ein 38-seitiges Stichwortverzeichnis am Buchende macht das Auffinden der gängigsten Schlüsselbegriffe recht leicht und das hilft vor allem all jenen, die von der Vielfalt der Rubriken zunächst einmal erschlagen werden und so den Einstieg ins Repertorium um Einiges leichter finden.

Die Kapitel werden im Inhaltsverzeichnis mit Stichworten noch etwas verdeutlicht:

Brustdrüsen – Brustwarzen, Muttermilch, Stillen

Impfungen – Arten, Nebenwirkungen

Krebs – Chemotherapie, Organe, Strahlungskrankheit

Ohnmacht – allgemein

Der Inhalt der Rubriken folgt ebenfalls der alphabetischen Einteilung, dies gilt auch weitestgehend für die Unterrubriken.

Wer es also von anderen Repertorien erst einmal gewöhnt ist, zum Beispiel die Modalitäten, Lokalisationen beieinander vorzufinden, wird in diesem Repertorium so manche Angabe übersehen, wenn die Rubriken nicht bis zum Ende durchgelesen werden (siehe Kent: Seiten, Zeit, Zustände, Modalitäten, Umstände, Ausbreitungen, Lokalisationen usw.).
Z. B. die Rubrik Ohren – ZWICKENDER, kneifender Schmerz. Die Unterrubriken da sind:
abends

hinter dem Ohr
links
morgens
nachmittags
nachts
Reiben amel.
Schluckauf, bei
Trinken, beim
über dem Ohr
um das Ohr

Viele werden sich über diese Anordnung freuen, wer mit mehreren Repertorien arbeitet, muss gut aufpassen.

Bei der Aktualisierung seines Werkes folgt Murphy einem Trend, der für die meisten großen Repertorien zutrifft: Es geht um die konsequentere Verwendung moderner Terminologie, um zahlreiche neue Querverweise um möglichst viele synonyme Begriffe unterbringen zu können und um die Korrektur von Fehlern.

Und was den Detailreichtum angeht, so ist das Repertorium von Murphy nicht von schlechten Eltern. Wenn man sich an die Kapitel, deren Anordnung und die Gesetzesmäßigkeiten der Rubrikenverteilung erst einmal gewöhnt hat, so lässt sich mit diesem Buch auch recht flott und effektiv arbeiten, man wird für gewöhnlich seine Rubriken ebenso finden wie in den anderen großen Repertorien.

Wenn man sich ein wenig in einschlägigen (englischsprachigen) homöopathischen Internetforen umschaut, kann man unschwer erkennen, dass für einen solchen Ansatz durchaus ein großes Interesse besteht. Wie oft liest man da Anfragen von Patienten, die ein homöopathisches Mittel für diese oder jene ‚Diagnose’ empfohlen bekommen möchten. Und in der Regel recht schnell findet sich auch ein ‚Fachmann’, mit einer eigentlich jeder Grundlage entbehrenden Verschreibung. Und eine solche Fernsehsesselhomöopathie wird halt leider auch in vielen homöopathischen Praxen rund um den Globus praktiziert. Ein klinisches Repertorium unterstützt wesentlich deren ‚Arbeit’.

Man bedenke zu dieser Theorie:
„Bewährte Indikationen“ sind eine Verkürzung und Vereinfachung der Arzneimittelwahl, weil bei ihnen nicht mehr die Symptomengesamtheit berücksichtigt wird, sondern die Arzneien aufgrund von klinischen Indikationen (und höchstens noch einiger weniger Schlüsselsymptome) verschrieben werden. Die bewährten Indikationen sind wegen der Zeitersparnis besonders beliebt. Weil die Ähnlichkeitsregel jedoch nur bedingt berücksichtigt wird, besteht die Gefahr, anstelle des optimalen Simillimum lediglich ein Simile zu verschreiben, das nur einen Teil der Symptomatik abdeckt. Schon Dorscis Ziel war die Integration der Homöopathie in Kliniken und (Arzt-)Praxen, wobei Einschränkungen im Bereich der klassischen Homöopathie notwendig waren, da eine zeitsparende und zielgerichtete Variante der Homöopathie benötigt wurde. Kritikern begegnete Dorsci mit dem Hinweis, dass Anfänger mithilfe bewährter Indikationen einen Einstieg finden und bei entsprechender Zeitersparnis gute Erfolge sehen könnten, die zu weiteren homöopathischen Therapien motivieren sollten. Gewünscht wird einerseits der teilweise homöopathisch behandelnde Kassenarzt, andererseits der ausschließlich auf die Homöopathie spezialisierte Arzt, der sich am besten um die chronisch kranken Patienten kümmern kann. Für Dorsci hat die klinische Diagnose große Bedeutung für die Prognose, sodass sie für eine verantwortbare Homöopathie unabdingbar ist.

Auch Hahnemann fordert die deutliche Krankheitserkenntnis. Dies nicht, um ‚kurzlebige, nutzlose und missbräuchliche Krankheitstermini’ zu sammeln, sondern um zu erkennen, was das am einzelnen Patienten zu Heilende sei. Krankheitserkenntnis bedeutet im homöopathischen Sinne Erkennen des Wesens der Krankheit, also ein ‚durch und durch Erkennen’ (Diagnostik). Das bedeutet zugleich ein Erkennen des mess- und wägbaren pathophysiologischen Anteils einer Krankheit. Durch Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen oder Spiegelungen innerer Organe sind wir in der Lage, unsere Sinne in zu Hahnemanns Zeiten noch nicht so weit zugängliche Tiefen des Organismus ‚vorzuschieben’ und auf diese Weise kann man ergänzende und eventuell die homöopathische Mittelfindung unterstützende Erkenntnisse gewinnen. Hahnemann fordert uns im Organon auf, ohne Vorurteile, also auch ohne weltanschauliche oder religiöse Einschränkungen unseres Blickfeldes, so auch ohne Vorurteile gegenüber den sinnvollen diagnostischen Errungenschaften der Schulmedizin, alle von unseren Sinnen erschließbaren Facetten und Symptome der Krankheit zu sammeln, um sie dann bei wachem Verstand und ‚ohne übersinnliche Ergrübelungen’ in den Dienst der Lehre Hahnemanns zu stellen, um das Mittel zu finden, das zum Wesen der jeweiligen Krankheit beim einzelnen Patienten so genau passt wie ein Schlüssel zum Schloss. Auch zur korrekten Beurteilung des Fallverlaufes ist das schulmedizinische Wissen über pathophysiologische Hintergründe einer Krankheit, ihren unbehandelten Spontanverlauf sowie ihre möglichen Komplikationen und natürlich nicht zuletzt die potenziellen Nebenwirkungen allopathischer Medikamente von großer Bedeutung. Daher ist die Homöopathie in der Hand auch klinisch erfahrener Allgemein- und Fachärzte am besten aufgehoben. (Ulf Riker, Homöopathie-Wegweiser, ISBN 3-8304-9010-0)

Was aber nun macht dieses Repertorium ‚klinisch’? Worin unterscheidet es sich von anderen Repertorien? Erleichtert es die Arbeit der Homöopathen oder revolutioniert es gar deren Effizienz?

Vielleicht sollten wir uns zunächst einmal die Frage stellen, was klinisch in Assoziation mit einem Repertorium eigentlich heißt.

Robin Murphy schreibt in Vorwort und Einführung in dieses Repertorium: „... wollte ein neues und leicht anzuwendendes Repertorium für die tägliche Praxis schaffen. Die neueste Auflage (die 3., auf diese basiert die vorliegende Übersetzung), so der Autor wörtlich, wurde auf den neuesten Stand gebracht, um noch klinischer und praktischer zu sein.“ - Somit haben wir es genaugenommen mit Dr. Robin Murphys Klinischeres Repertorium zu tun?

Dr. Murphy versteht dieses Repertorium als klinischen Wegweiser für die riesige Materia medica. Er stellte dafür dieses ‚neu entworfene’ und aktualisierte Repertorium zusammen und beseitigte die ihm wichtigen ‚klinischen Defizite’ alter Repertorien und korrigierte deren Hauptmängel (Quelle: Vorwort und Einführung zu diesem Buch).

Dieser Ansatz ist für die Homöopathie nichts Neues. Eine Einbindung von Erfahrungen aus der Klinik’ in homöopathische Arbeitsmittel gibt es seit Anbeginn der Homöopathie:

· Franz Hartmann publizierte bereits 1831 das erste Lehrbuch der homöopathischen ‚Therapie akuter Krankheitsformen’. Seine Gliederung nach Krankheitsdiagnosen war der erste Versuch eines Brückenschlags zur Schulmedizin, an der Hahnemann allerdings die ungenügende Individualisierung kritisierte. (Josef M. Schmidt in „Strömungen der Homöopathie“, ISBN 3-933351-11-1)

· Josef Attomyr (1807 - 1856) verfasste mehrere Arbeiten, in denen er versuchte, über den rein idiografischen Hahnemannschen Ansatz hinaus zu Verallgemeinerungen zu kommen. Er fasste Krankheiten nach Gattungen zusammen (z. B. Schlaganfall, Dysenterie, Krupp), die er wiederum nach dem Heilmittel in Arten differenzierte (etwa Aloe-, Arsenik-, Colocynthis-Dysenterie). Attomyr war von der Naturphilosophie beeinflusst und stand in heftigem Streit mit den kritischen Homöopathen.

Übrigens wurden die ersten großen homöopathischen Arzneimittellehren in der Zeit nach Hahnemann von kritischen Homöopathen verfasst: Carl Georg Christian Hartlaub (1795 – 1839), Karl Friedrich Trinks (1800 - 1868), Alfons Noack (1809 – 1887) und Clothar Müller (1818 – 1877). Während Arzneimittellehren bei Hahnemann zunächst (weitgehend) reine Verzeichnisse der Prüfungssymptome der jeweiligen Arzneimittel waren, wurden von diesen Autoren zunehmend auch klinische und physiologische Gesichtspunkte berücksichtigt.

Seine Gründe für den Bedarf für ein klinisches Repertorium stellt Dr. Murphy in seiner Einführung wie folgt dar:

„Hahnemann erläutert im gesamten Organon, dass jeder Homöopath deutlich erkennen muss, was bei den Krankheiten geheilt werden soll und dass er die Symptomentotalität der Erkrankung erfassen muss. Er schreibt auch über akute Krankheiten, chronische Krankheiten, epidemische Krankheiten, iatrogene Krankheiten, Infektionskrankheiten, Geistes- und Gemütskrankheiten, miasmatische Erkrankungen, physische Krankheiten, traumatische Krankheiten usw.“

Daraus zieht Murphy den folgenden Schluss, ohne näher zu erläutern, was klinische Rubriken seiner Meinung nach überhaupt sind:

„Daher müssen moderne homöopathische Repertorien mehr klinische Rubriken enthalten, besonders diejenigen, die neue Erkrankungen und Zustände unserer modernen, chemisch-industriellen Gesellschaft widerspiegeln, zusätzlich zu denen, die durch allopathische Medikamente, Strahlung, Chemotherapie, Chirurgie, Impfungen usw. verursacht werden.“

Murphy zitiert Kent: „Prüfungen von Arzneien werden nicht bis zu dem Ausmaß durchgeführt, dass Gewebsveränderungen wie Verhärtungen, Infiltrationen, Eiterungen, Nekrosen usw. hervorgerufen werden. Die meisten Indikationen für die Anwendung der Arzneien bei derlei Zuständen müssen klinisch erlernt werden; durch Anwendung der Mittel bei Patienten, bei denen sich diese Zustände entwickelt haben. Wenn eine Arznei für einen Patienten verordnet wurde, bei dem Gewebsveränderungen aufgetreten sind, und wenn die Verordnung auf dem Symptombild basierte, dann kam es zur Auflösung der bestehenden Gewebsveränderungen, als Ergebnis der Mittelwirkung. Diese werden verlässliche klinische Symptome des Mittels. Beweise des Einflusses der Arznei auf das veränderte Gewebe. Diese Arzneien werden dann bei Patienten für passend erachtet, bei denen diese pathologischen Veränderungen sich entwickeln können. Daher sind sie für den Verordner ebenso wichtig, als wenn sie tatsächlich in der Prüfung aufgetreten wären.“

Wenn man das Repertorium so durchgeht, findet man sehr viele bekannte Rubriken. Dies mag daran liegen, dass Roger van Zandvoorts ‚Complete Repertory’, Frederik Schroyens ‚Synthesis Repertory’, S. R. Phataks ‚Homöopathisches Repertorium’ und ‚Homöopathische Arzneimittellehre’, Constantine Lippes ‚Repertory to the More Characteristic Symptoms of the Materia Medica’ (Schreibfehler in diesem Buch), Jost Künzlis ‚Kent’s Repertorium Generale’, Kalvin B. Knerrs ‚Repertory of Herings Guiding Symptoms of our Materia Medica’, James Tyler Kents ‚Repertorium der homöopathischen Arzneimittel’, ... als Referenz dienen. Was jedoch wo entnommen ist, darüber schweigt sich Murphys Repertorium aus. Irgendwann einmal lässt es sich nicht mehr nachvollziehen, wer was von wem abkupfert. Zumindest nicht in Murphys Buch.

Die Rubrikenein- bzw. -aufteilung gestaltet sich in diesem Repertorium zuweilen merkwürdig. Schauen wir zum Beispiel in das Kapitel Krebs: Es beginnt mit Krebs, allgemein (vgl. Tumor), 228 Arzneimittel. Unter Tumor findet sich gar nichts in diesem Kapitel, wohl unter Karzinom (vgl. Krebs) mit 4 Arzneimittel. Abgesehen von der Fragwürdigkeit eines Nutzens von solchen Rubriken, stiftet hier bereits die Struktur Verwirrung.

Oder gehen wir einmal zum Kapitel ‚Ohnmacht’: Dort findet sich die Rubrik „AUFSCHRECKEN, wenn etwas auf den Boden fällt; durch“ – 1 Arzneimittel. Nun, was fällt denn da? Ein Kochtopf auf die Fliesen, ein Stück Papier auf den Teppich? Ist es eine eher hektische Umgebung oder herrschte bis eben Ruhe, als das Missgeschick geschah? Wie besonders ist denn diese Reaktion in Beziehung zum Geschehnis. Gibt es mehrere solcher Fälle, die nach diesem Mittel verlangten? Was bewirkte das Mittel in diesem konkreten Fall? Murphy gibt darauf keine Antwort.

Ein anderes Repertorium hat die Rubrik „ALLGEMEINES; OHNMACHTSGEFÜHL, Ohnmachtsschwäche, Ohnmacht; Zusammenfahren, wenn etwas auf den Fußboden fällt, durch“ – dort das gleiche Mittel (Complete Repertory). Und ich erhalte als Referenz „Timothy Field Allen“. In dessen „The Encyclopedia of Pure Materia Medica“ finden wir in Mercurius unter ‘General Symptoms: ”Three attacks of faintness in one day; the first was caused by starting at something falling to the floor,”, d. h., drei Ohnmachtsanfälle an einem Tag, der Erste wurde durch Aufschrecken durch etwas auf den Boden Fallendes verursacht. Als Quelle dafür wird genannt: „Kussmaul, Untersuchung ueber den Constitutionellen Mercurialismus und sein Verhältnis zur constitutionellen Syphilis, 1861“. Hier wurde nun für eine Rubrik in diesem Klinischen Repertorium ein Werk hinzugezogen, in dem es weder um Homöopathie geht, geschweige denn um potenzierte Arzneimittel. Bei diesem Buch handelt es sich nämlich um ein Werk Kussmauls, für das er seine Erfahrungen als Leiter der medizinischen Klinik in Erlangen nutzte, um über das Leiden von Quecksilberverseuchten (Ahhhh Mercurius!) zu schreiben. Er bearbeitete hier die Lehren vom konstitutionellen Merkurialismus neu, weil das in der Literatur geschilderte Krankheitsbild der durch Quecksilber geschädigten Minenarbeiter, Vergolder und Spiegelbeleger ein ganz anderes, als das der mit Quecksilber behandelten und misshandelten Syphilitischen war. Es gelang Kussmaul unzweifelhaft und für alle Zeiten festzustellen, dass Syphilis und Merkurialismus zwei grundverschiedene, von einander unabhängige Krankheiten sind.

Wir können zweifellos nach solchen Fehlern, die von anderen Quellen abgekupfert worden sind, weitersuchen. Natürlich können wir das auch bei anderen Repertorien tun. Das könnte in einem Projekt außerhalb einer Buchbesprechung erfolgen. Aber ist es nicht interessant, dass, sobald man anfängt, eine etwas unklare Rubrik zu durchleuchten, man auf einen solchen Unsinn stößt? Unsinn insofern, eine solche Repertoriumsrubrik zu kreieren. Ich für mich selbst verstehe „Robin Murphy“ über einen Buchtitel jetzt erst einmal als ein ‚Qualitätssiegel’, und jede Veröffentlichung, auf der dieser Autor genannt wird, wird zunächst einmal genauer gesichtet werden, bevor eine Kaufempfehlung erfolgt. Vergessen wir bitte nicht: wir haben hier eine Neuerscheinung vor uns liegen! Ein Buch, dass unkritisch übersetzt wurde, ohne dass die Rubriken untersucht und hinterfragt und im Folgenden korrigiert bzw. weggelassen wurden ...
Dieses ist ein wahrlich fantastisches Buch – könnte man sich nur halbwegs auf den Inhalt verlassen oder die Rubriken zumindest ohne die Hilfe anderer Repertorien nachvollziehen und nachrecherchieren. Dieses Buch ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir unsere Database verwaschen und die homöopathische Arbeit richtig unzuverlässig werden lassen können: durch plumpes abkupfern aus fehlerhaften Quellen. Dies ist keine wissenschaftliche Arbeit, die gewürdigt werden kann. Die hervorragende Arbeit der Buchdrucker soll durch dieses Urteil keinesfalls geschmälert werden.

Der Leser darf meine negativen Eindrücke gegenüber diesem Buch nicht damit verwechseln, dass womöglich eine abschlägige Einstellung zur klinischen Homöopathie die Ursache sei. Jeder Homöopath hat seinen individuellen Background und darüber zu richten ist deplatziert. Jedoch, gleich, welcher Schule man innerhalb der Homöopathie folgt, wenn die Werkzeuge, unsere Repertorien und Materia medicas unzuverlässig sind, wie möchte man unter Befolgung aller Lehren erfolgreich praktizieren? Die klinische Homöopathie ist ein Versuch, die homöopathische Arbeit zu vereinfachen, was an sich schon aufgrund 200-jähriger Erfahrungen als problematisch eingestuft wird, weil gewöhnlich erfolglos oder zumindest nicht zufriedenstellend. Jetzt noch eine Vereinfachung durch mangelhaft recherchierte Literatur bewirken zu wollen, kann kein guter Weg sein. Bedenken Sie bitte, es handelt sich hier um ein Werk, das auf einer bereits korrigierten und erweiterten Auflage der amerikanischen Fassung beruht.

Ab dieser Stelle halte ich es für gerechtfertigt, sich mit den besonderen Philosophien der klinischen Homöopathie und von Murphy vertraut zu machen und sich ein paar Fragen zu stellen. Dies hat nun nichts mit dieser Buchbesprechung an sich zu tun, jedoch mag es für eine Kaufentscheidung für dieses Buch doch hilfreich sein, Näheres über die angewandte Methodik zu erfahren, falls noch nicht geschehen.

Drehen wir doch einmal die Uhr um über 150 Jahre zurück, um zu schauen, unter welchen Umständen die ‚klinische Homöopathie’ in der Homöopathiegeschichte zu existieren begann. Über diese neue Behandlungsmethode unter dem Deckmantel der Homöopathie gibt uns Heinz Eppenichs Buch „Geschichte der deutschen homöopathischen Krankenhäuser“ (Herausgeber: Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, ISBN 3-7760-1497-0) Auskunft.

Ausgehend von der Feststellung, dass sich für den Historiker Hahnemanns Vorstellungen der Praxis in einem homöopathischen Krankenhaus in keinem der von Eppenich untersuchten Krankenhäuser verifizieren lassen, beschreibt er ein Dilemma, unter dem die deutsche Geschichte der Homöopathie und ihrer Krankenhäuser von Beginn an stand. Und das sind die Auswirkungen von Konsequenz (Beharrlichkeit, Geradlinigkeit, Unerschütterlichkeit) und der Polypragmasie (das Ausprobieren vieler Behandlungsmethoden und Arzneien) und des Eklektizismus ([abwertend] unoriginelle, unschöpferische geistige Arbeitsweise, bei der Ideen anderer übernommen oder zu einem System zusammengetragen werden).
Was tut Murphy, um diese Auswirkungen, dieses Dilemma des Ausprobierens und des unoriginellen, unschöpferischen Zusammentragens, nicht mit seinem Repertorium in die heutige Homöopathiepraxis zu übertragen?Es ist mir nicht erkennbar. Wir finden in diesem Repertorium ein Sammelsurium von Rubriken, ohne Geschichte und ohne Herkunft. Ohne Patienten und ohne Krankheitsfall. Ohne ursprüngliche Autoren und ohne Zitate. Letztlich alles ohne irgendwelche Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit. Und somit ist dieses Prachtbuch, denn es macht sich hervorragend in einem Bücherregal, praktisch wertlos für eine verantwortungsvolle homöopathische Arbeit und Verschreibung.

An diesem Punkt ein paar weitere Gedanken zur klinischen Homöopathie:
Die klinische Homöopathie ähnelt in ihrer Denkweise der Schulmedizin und konzentriert sich auf die Behebung der körperlichen Symptome. Eine ausführliche Anamnese wird nicht erhoben. Aber ohne ein umfassendes Verständnis des Patienten ist es nicht möglich, ein Arzneimittel nach dem Ähnlichkeitsprinzip zu finden.“ (Sabine Müller)

Hier werden homöopathische Mittel in tiefen Potenzen (D1-D12) nach klinisch gestellten Diagnosen und der Symptomenähnlichkeit des erkrankten Organs mit dem Heilmittel eingesetzt. Die Klinische Homöopathie ähnelt vom Denkansatz her stark der Komplexmittelhomöopathie, auch wenn sie keine Mittelgemische anwendet.

Beispiel:
Es wird die klinische Diagnose Hepatitis gestellt. Aus den bekannten homöopathischen Mitteln gegen Hepatitis wird das am besten Passende ausgewählt - falls der Erkrankte beispielsweise an Schmerzen unterhalb des rechten Schulterblattes leidet, verordnet der klinische Homöopath Chelidonium D6.

Dadurch, dass die Auswahl der in Frage kommenden Mittel durch die klinische Diagnose bestimmt wird, fehlt die Offenheit für eine ganzheitliche Wahrnehmung des Patienten. Diese Art der Homöopathie wird von vielen homöopathischen Ärzten praktiziert. Sie geben dabei ihr Denken in Krankheitsdiagnosen, wie sie es an der Universität gelernt haben, nicht auf. Anstatt den ganzen Menschen bei der Anwendung des Ähnlichkeitsgesetzes in Betracht zu ziehen, wird nur ein sehr kleiner Aspekt, die lokale Symptomatik, berücksichtigt. Die Heilerfolge der klinischen Homöopathie bleiben daher eher oberflächlich (Quelle:Uwe Garbers).

Sehr lesenswert ist auch die Diskussion zwischen Fuckert, Kösters und, Schreier über klinische Symptome – Mai 2002:
http://www.grundlagen-praxis.de/debatte/deutsch/clinical.pdf

Brian Kaplan schreibt in seinem Buch „Die Kunst der Fallaufnahme – das homöopathische Gespräch“:
Unglücklicherweise haben viele Autoren Bücher geschrieben, in welchen sie ohne klinische Bestätigung aus ihrer eigenen Praxis einfach wiederholen, was andere Homöopathen geschrieben haben. Das ist gefährlich, weil Symptome und Keynotes von Mitteln dazu neigen, durch Wiederholung in der Literatur zu Unrecht hervorgehoben zu werden.

Manche Arzneimittel werden durch die Lektüre ihrer Arzneimittelprüfungen heute nicht mehr wiedererkannt, weil das moderne Bild von Arzneien dadurch immer weiter verändert wurde, weil über die Jahre Homöopathen der Beschreibung der Materia medica klinische Symptome angefügt haben. Ein klinisches Symptom ist eines, das in den Prüfungen nicht auftaucht, sondern von Homöopathen, die seine Verlässlichkeit aus ihrer eigenen klinischen Erfahrung bestätigen können, hinzugefügt wurde. Ein solches Hinzufügen ist kaum ein wissenschaftliches Vorgehen.

Dr. Peter Knafl beschreibt eine Indikation für die klinische Homöopathie in der Tierhaltung (wo die Anwendung der klassischen Homöopathie nicht möglich ist):
Da man für das Auffinden der passenden Arznei (Simile) auf viele Informationen, die sowohl die somatische wie auch die Verhaltensebene betreffen, angewiesen ist, müssen die Tierhalter ein Minimum an Beobachtungen und Informationen über ihr Tier bereithalten und uns vermitteln können. Gerade für die klassisch homöopathische Behandlung reicht die tierärztliche Beobachtung meist für eine Arzneimitteldiagnose nicht aus, d. h., man ist auf weitere Informationen angewiesen. Wenn man keine individuellen Symptome findet oder erfragen kann, oder die Symptome für eine Arzneimittelwahl nicht ausreichend sind, ist eine homöopathische Therapie wenig erfolgsversprechend. Es wird deshalb in der Massentierhaltung  oft unmöglich sein, klassisch homöopathisch zu arbeiten. Hier ist das Ziel auch nicht die Gesundung des Individuums, sondern eine rationelle und rückstandsfreie Produktion von Lebensmitteln. Die Methode der Wahl ist hier die klinische Homöopathie.

Aus dem Blickwinkel der von Hahnemann entwickelten Homöopathie aus betrachtet, muss man sich fragen, wo die Geradlinigkeit und Unerschütterlichkeit endet und wo das unangemessene Herumprobieren anfängt, also das verzerren, verfälschen, verwässern der homöopathischen Praxis und ihrer wesenskonstituierenden Grundlagen.

In Leipzig gab es zwei homöopathische Krankenhäuser. Das Erste bestand schon zu Lebzeiten Hahnemanns, von 1833 bis 1842 (danach Fortbestand nur als ‚homöopathische Poliklinik’), und dort stritten noch die ‚reinen’ mit den ‚freien Homöopathen’. Im zweiten Leipziger Krankenhaus, 1888 bis 1901, war der Wechsel bereits vollzogen. Stifft (ärztl. Krankenhausleiter): „Es ist ungeheuer schwierig, das Gesamtbild auch nur unserer bekanntesten Mittel nach ihren Symptomen richtig im Gedächtnis festzuhalten und, will man da nicht nach einzelnen Symptomen wählen, so sind empirisch gewonnene klinische Erscheinungen zur Mittelwahl willkommene und sichere Anhaltspunkte.“

Nach Eppenich bedeutet ‚klinische Erscheinungen’ höchstwahrscheinlich klinische Diagnosen, was der Verabschiedung der genuinen Homöopathie entspricht und den Beginn der naturwissenschaftlich-kritischen „Homöopathie mit ihrer Ausrichtung nach organpathologischen Befunden einläutet“. Für die „Homöopathie im Zeichen der Evolution von Naturwissenschaft und Medizin“ wurde der Begriff „Klinische Homöopathie“ geprägt (H. Eppenich, Geschichte der deutschen homöopathischen Krankenhäuser, Seite 227).

Zwar hatte bereits Constantin Hering (1800-1880) gesagt: „... Hat man dann von demselben Mittel Heilberichte, wären es auch nur die allerflachsten Krankheitsnamen, so hat man auch schon ein Heft in der Hand zur Anwendung. Kommen Fälle vor, wo sich kein anderes Mittel bestimmt anzeigt, oder wo, was zu passen schien, versagte, und der Fall hat einige, wenn auch nur vermuthliche Charakteristiken eines neuen Mittels, dann kann es auch gegeben werden. Entweder es wirkt nichts, dann steht man, wo man gestanden hat, oder es wirkt und dann wirkt es entweder heilend oder neue Zeichen machend oder beides. Es werden die Heilwirkungen als solche eingetragen, und die neuen Zeichen als vermuthliche. Auf diese Weise wächst das Mittel wie eine Zwiebel.“.

Aber Herings klinische Symptome dürfen nicht mit Stiffts klinischen Diagnosen zusammengebracht werden. Es handelt sich hier um völlig unterschiedliche Zusammenhänge, was Vorsicht im Umgang mit den verwendeten Begriffen einfordert. Murphy lehnt sich offensichtlich an Stiffts Ansatz an. Und das macht seine Arbeit recht fragwürdig.

Man feierte die klinische Homöopathie als Fortschritt, obwohl Hahnemann gleichzeitig bei den Symptomen, den Krankheitsphänomenen, blieb, und seine adäquate Arzneiheilmethode, seine Homöopathie, am Krankenbett lehrbar machen wollte. Aber wie damals in den schulmedizinischen Kliniken* hatte sich auch unter den praktizierenden Homöopathen die Wende vom Symptom (Krankheitszeichen) hin zur Läsion (Verletzung oder Störung der Funktion eines Organs oder Körperglieds) vollzogen, also das Verhältnis des Signifikanten (der Ausdrucksseite der Krankheit) zum Signifikat (der Inhaltsseite der Krankheit), zwischen den Symptomen und der Krankheit, umgestaltet.

(* Die Erfindung des Stethoskops und die in Laennecs ‚Traité’ von 1819 kodifizierte Praxis der indirekten Auskultation ließen das Symptom (Krankheitsphänomen) hinter das Signum (Krankheitszeichen) zurücktreten. Das Symptom wird vom Kranken dargeboten, das Signum durch ärztlichen Kunstgriff gesucht und gefunden.)

Die reine Phänomenalität war somit verlassen und die genuine Hahnemannsche Homöopathie verabschiedet worden.

Für die ‚Homöopathie im Zeichen der Evolution von Naturwissenschaft und Medizin’ wurde der Begriff „Klinische Homöopathie“ geprägt.

(Nur der Vollständigkeit halber: Die Begriffe „Homöopathie“ und „Klinik“, Letzterer im Sinne von ‚Anwendung am Krankenbett’, aber nicht im Kontext des Krankenhauses brachte B. Hirschel in der Mitte des 19. Jahrhunderts explizit zusammen. Auch der nicht naturwissenschaftlich ausgerichtete Tübinger Praktiker Emil Schlegel, der es allerdings mit der Hahnemannschen Homöopathie wie die „Naturwissenschaftlich-Kritischen“ nicht so genau nahm, brachte den Begriff einer „klinischen Homöopathie“ in die Diskussion.)

Nun zurück zu Dr. Murphy’s Klinischer Homöopathie (Quelle: Robin Murphys Webseite http://www.lotushealthinstitute.com/index.php?option=com_content&task=view&id=19&Itemid=33 )

Robin Murphy nennt seine Art zu therapieren „Klinische Homöopathie“, und sie besteht aus mehreren Zweigen. Sein klinischer Ansatz schließt, wie er es beschreibt, alle Formen der klassischen und konstitutionellen Verschreibung und vieles mehr ein. Murphy meint, dass seine klinische Homöopathie diverser und praktischer ist, als der engstirnige Ansatz der, wie er es schreibt‚ sogenannten’ Klassischen Homöopathen. (Hieraus lesen wir, dass Murphy seine eigene Therapieform entwickelte, die mit Homöopathie nicht gleichgesetzt werden kann, obwohl er sie unter deren Deckmantel verkauft.) Einer der Hauptgründe, weshalb viele Homöopathen in der Praxis versagten, sei der, dass ihnen keine wirklichkeitsnahe Homöopathie beigebracht wird. Ihnen würde eine ‚idealistische Homöopathie’ gelehrt, die dem klassischen Ansatz gleichkommt. Man bräuchte einen idealen Patienten, damit die klassische Homöopathie funktioniert; diese Patienten sind in der homöopathischen Praxis die Ausnahme und nicht die Regel.

An dieser Stelle würde ich Herrn Murphy gerne fragen, weshalb er dann die klassische und konstitutionelle Verschreibung, wie eben noch erwähnt, dann überhaupt in seine Methode einschließt! Hier wird ein Mischmasch von Inhalten aneinandergereiht, was ganz dringend einer näheren Erläuterung bedarf. Und ebenso einer Verifizierung aus der Praxis. Schließlich hebt er seine Methode als Wirklichkeitsnahe (was noch lange nicht heißt, sie sei erfolgreicher oder erfolgsversprechender!) gegenüber einer (versagenden) Idealistischen hervor.

Dr. Murphy weiter: Die Ätiologie (Lehre von den Krankheitsursachen) überstimmt die Symptomatologie (Wissenschaft von den Krankheitszeichen) in der klinischen Praxis. Wenn die Krankheitsursache ein Medikament ist, dann sollte der Homöopath entsprechend verschreiben. Die Symptome sind ein Ausdruck der Lebenskraft. Jeder Fall zeigt ihnen über die Ätiologie und die Symptome, ob sie homöopathisch, tautopathisch oder isopathisch usw. behandeln.
Und noch einmal Murphy: Wir sollten uns nicht auf dieses Spiel einlassen, in dem die Heilung der einzige Gewinn ist. Die Heilung ist ein kontinuierlicher Prozess, wir müssen den Patienten in Richtung besserer Gesundheit entwickeln lassen. Eine Heilung ist nicht das Ziel, sondern eine bessere Gesundheit und ein besseres Leben. Die Gesundheit ist ein Teil des Lebens, Wachsens uns Alterns. Die Palliation ist ebenso wichtig, einige ernsthafte Fälle können über Jahre gelindert werden. Was ist daran falsch?

Hier frage ich Dr. Murphy, auf welches „Spiel“ er sich hier bezieht! Organon der Heilkunst, §§ 1 und 2 „Des Arztes höchster und einziger Beruf ist, kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt. Das höchste Ideal der Heilung ist schnelle, sanfte, dauerhafte Wiederherstellung der Gesundheit oder Hebung (Anm.: Belebung, Stärkung, Verbesserung), und Vernichtung der Krankheit in ihrem ganzen Umfange auf dem kürzesten, zuverlässigsten, unnachteiligsten Wege, nach deutlich einzusehenden Gründen.“ Selbstverständlich wird es immer Patienten geben, bei denen eine Heilung von vornherein nicht erwartet werden kann und bei denen nur eine Palliativbehandlung übrig bleibt. Aber das ist gängige Praxis in der Homöopathie. Gegen was lehnt sich Murphy hier auf? Was genügt ihm da in der Homöopathie nicht?

Die Hauptzweige von „Murphys klinischer Homöopathie“ sind:
Die homöopathische Verschreibung
Die isopathische Verschreibung
Die tautopathische Verschreibung
Die sympathetische Verschreibung

Murphy: Die klassische Homöopathie ist in Fällen mit ernsten Pathologien und Patienten, die allopathische Medikamente einnehmen müssen, nutzlos. Meine Praxis besteht zu 60 – 70 % aus dieser Art von Patienten. Die meisten Patienten nehmen heute 2 bis 3 Medikamente ein. Daher müssen wir mit den gebräuchlichsten allopathischen Medikamenten, die heute verschrieben werden, vertraut sein. Wir müssen die häufigsten Herz-, Blutdruck- und Diabetesmittel usw. kennen. Wir müssen die Nebenwirkungen der Medikamente kennen, die Symptome durch Überdosierung und Entzug usw. kennen. Wir müssen sie auch als potenzierte Arzneimittel kennen.

Um es zusammenzufassen, wenn man die klinische Homöopathie beherrscht, ist das für jeden Praktiker heute und künftig ein wahrer Segen. Die tautopathische Verschreibung zu kennen ist wegen der Tatsache, dass die Mehrheit der menschlichen Bevölkerung täglich vergiftet wird, absolut erforderlich.

(Quelle: Robin Murphys Webseite:
http://www.lotushealthinstitute.com/index.php?option=com_content&task=view&id=19&Itemid=33
http://www.a-r-h.org/Publications/Journal/sampleArts/RobinMurphyHIPOct02.pdf
)

Man bedenke zu dieser Theorie:
„Bewährte Indikationen“ sind eine Verkürzung und Vereinfachung der Arzneimittelwahl, weil bei ihnen nicht mehr die Symptomengesamtheit berücksichtigt wird, sondern die Arzneien aufgrund von klinischen Indikationen (und höchstens noch einiger weniger Schlüsselsymptome) verschrieben werden. Die bewährten Indikationen sind wegen der Zeitersparnis besonders beliebt. Weil die Ähnlichkeitsregel jedoch nur bedingt berücksichtigt wird, besteht die Gefahr, anstelle des optimalen Simillimum lediglich ein Simile zu verschreiben, das nur einen Teil der Symptomatik abdeckt. Schon Dorscis Ziel war die Integration der Homöopathie in Kliniken und (Arzt-)Praxen, wobei Einschränkungen im Bereich der klassischen Homöopathie notwendig waren, da eine zeitsparende und zielgerichtete Variante der Homöopathie benötigt wurde. Kritikern begegnete Dorsci mit dem Hinweis, dass Anfänger mithilfe bewährter Indikationen einen Einstieg finden und bei entsprechender Zeitersparnis gute Erfolge sehen könnten, die zu weiteren homöopathischen Therapien motivieren sollten. Gewünscht wird einerseits der teilweise homöopathisch behandelnde Kassenarzt, andererseits der ausschließlich auf die Homöopathie spezialisierte Arzt, der sich am besten um die chronisch kranken Patienten kümmern kann. Für Dorsci hat die klinische Diagnose große Bedeutung für die Prognose, sodass sie für eine verantwortbare Homöopathie unabdingbar ist.

Auch Hahnemann fordert die deutliche Krankheitserkenntnis. Dies nicht, um ‚kurzlebige, nutzlose und missbräuchliche Krankheitstermini’ zu sammeln, sondern um zu erkennen, was das am einzelnen Patienten zu Heilende sei. Krankheitserkenntnis bedeutet im homöopathischen Sinne Erkennen des Wesens der Krankheit, also ein ‚durch und durch Erkennen’ (Diagnostik). Das bedeutet zugleich ein Erkennen des mess- und wägbaren pathophysiologischen Anteils einer Krankheit. Durch Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen oder Spiegelungen innerer Organe sind wir in der Lage, unsere Sinne in zu Hahnemanns Zeiten noch nicht so weit zugängliche Tiefen des Organismus ‚vorzuschieben’ und auf diese Weise kann man ergänzende und eventuell die homöopathische Mittelfindung unterstützende Erkenntnisse gewinnen. Hahnemann fordert uns im Organon auf, ohne Vorurteile, also auch ohne weltanschauliche oder religiöse Einschränkungen unseres Blickfeldes, so auch ohne Vorurteile gegenüber den sinnvollen diagnostischen Errungenschaften der Schulmedizin, alle von unseren Sinnen erschließbaren Facetten und Symptome der Krankheit zu sammeln, um sie dann bei wachem Verstand und ‚ohne übersinnliche Ergrübelungen’ in den Dienst der Lehre Hahnemanns zu stellen, um das Mittel zu finden, das zum Wesen der jeweiligen Krankheit beim einzelnen Patienten so genau passt wie ein Schlüssel zum Schloss. Auch zur korrekten Beurteilung des Fallverlaufes ist das schulmedizinische Wissen über pathophysiologische Hintergründe einer Krankheit, ihren unbehandelten Spontanverlauf sowie ihre möglichen Komplikationen und natürlich nicht zuletzt die potenziellen Nebenwirkungen allopathischer Medikamente von großer Bedeutung. Daher ist die Homöopathie in der Hand auch klinisch erfahrener Allgemein- und Fachärzte am besten aufgehoben.
“Die gedankliche Einordnung eines Symptoms in unser schulmedizinisches Wissen ist also ebenso wichtig wie das präzise Auffinden eines Symptoms in den Homöopathie-Büchern. Beide Aspekte ergänzen und verdichten sich im Denken des homöopathischen Arztes zu einem Gesamtbild, welches erst die ganze Bedeutung eines Symptoms einschließlich seiner eventuell prognostischen Aspekte erkennen lässt.“ (Ulf Riker, Homöopathie-Wegweiser, ISBN 3-8304-9010-0)