Der Weg zum Simillimum

Der Weg zum Simillimum

Strategien zur homöopathischen Behandlung chronischer Krankheiten

Von Luc de Schepper

ISBN 3-921383-74-9

-- Von Siegfried Letzel


Der Autor dieses Werkes, Luc de Schepper, bekannt auch unter dem Kürzel „Dr. Luc“, ist ein Arzt, der sich mit außerordentlicher Energie dafür einsetzt, dass die Lehren der Homöopathie fundiert vermittelt und angewendet werden.

De Schepper hat in diesem Tun immer wieder dem Wunsch des Homöopathieportals Hpathy (www.hpathy.com, www.hpathy.de) nachgegeben und sehr lesenswerte Artikel für das kostenlose Homöopathiemagazin Homeopathy 4 Everyone, the Hpathy Ezine (http://www.hpathy.com/ezine/), verfasst und er stand dort auch schon zwei Mal für Interviews zur Verfügung. Trotz allem Respekt und Sympathie dem Menschen Luc de Schepper gegenüber werde ich in der folgenden Rezension wie gewohnt das Buch selbst sprechen lassen.

Der Titel des Buches macht es unmissverständlich klar: wir haben ein weiteres homöopathisches Lehrbuch vor uns liegen. Der Untertitel weist den Weg genauer: Strategien zur Behandlung chronischer Krankheiten. Genau das ist es, was so vielen von uns selbst nach dem Studium von Originalwerken, zugehörigen Kommentaren und zahlreicher Lehrbücher immer noch reichlich unklar und oft genug auch vage erscheint, einfach deshalb, weil die Inhalte nicht wirklich verstanden und verinnerlicht sind. Gelingt es nun Dr. Luc mit seinem Buch, den Knoten zu lösen, oder bleibt der Durchschnittsleser ein weiteres Mal zurück mit dem Gefühl, zwar wieder etwas gelernt zu haben, aber mit der Umsetzung des Gelernten in die Praxis sich immer noch schwer zu tun. Behandelt man nicht immer noch zu stark aus Vermutungen und Vorstellungen heraus – eher der ‚Intuition’ und dem Gespür folgend, als richtiger Erkenntnis?

Das Verständnis des Autors für verunsicherte Schüler/Studenten der Homöopathie zeigt sich gleich zu Beginn der Einleitung, in der auf „scheinbare Widersprüchlichkeiten in Hahnemanns Schriften und Praxis“ eingegangen wird. So wird der Leser gleich zu Beginn darauf aufmerksam, dass in diesem Werk alte Schriften nicht nur ‚übersetzt’ werden, sondern dass das Buch ein Schritt dahingehend ist, verbreitetes Unwissen zu korrigieren. Das alleine schon ist ein deutliches Indiz dafür, dass „Der Weg zum Simillimum“ ein Buch von beträchtlicher Wirkung werden kann. Widersprüchlichkeiten sind in der Homöopathie weit verbreitet. Oft lassen sich Quellen von Behauptungen nicht mehr ausfindig machen, nachdem Generationen von Autoren sie immer wieder zitiert und neu erfunden haben. Dieses Buch nun leitet den Neuling darin an, strukturiert und frei von persönlichen Philosophien die fortgeschrittenen Bereiche der Homöopathie zu erlernen und auch der erfahrene Praktiker wird so manchen Hinweis aufschnappen, der ihn sein ‚altes’ Wissen neu ordnen und vielleicht erst jetzt richtig verstehen lässt.

Wie nun geht Dr. Luc vor, die Misskonzeptionen Hahnemannscher Lehren aufzuzeigen und zu korrigieren?
Im Teil I des Buches, betitelt „Potenzen“, beginnt er, ähnlich wie man es aus Organon-Kommentaren kennt, Abschnitte aus Organon-Paragrafen wiederzugeben und zu erläutern. Die Paragrafentexte entsprechen übrigens nicht der Standardausgabe der 6. Auflage, die von Josef M. Schmidt bearbeitet und herausgegeben wurde (siehe § 64 a.). Es scheint die Version von Richard Haehl zu sein (veröffentlicht 1921), die verwendet wurde. In diesem Buchabschnitt werden vor allem jene Schlüsselthemen besonders herausgearbeitet, die für das Verständnis von späteren Fragestellungen unabdingbar sind. Dazu gehören Themen wie „ähnliche und unähnliche Krankheiten“. Luc de Schepper verweist sehr häufig auf Hahnemannsche Originaltexte und kommentiert sie mit einem sehr modernen Verständnis der Dinge. Als Mediziner kann er es nicht unterlassen, die Allopathie, also die konventionelle Herangehensweise, mit der Homöopathie und ihren Ansätzen zu vergleichen und zu bewerten.

Es ist schon angenehm zu lesen, wie auch das Thema möglicher Reaktionen auf konventionelle Arzneimittel dargestellt werden. Gerade in der homöopathischen Behandlung lange bestehender chronischer Fälle ist es vielfach so, dass der Fall dem Therapeuten nicht die natürliche Krankheit zeigt, sondern das Ergebnis des Zusammenwirkens von Lebenskraft, natürlicher Krankheit und unhomöopathisch gewählter Arzneimittel und der daraus resultierenden chronischen Arzneimittelkrankheit samt der vorhandenen Nebenwirkungen. Dem wird gegenübergestellt, wie der homöopathische Weg zur Heilung auf der Schiene zweier ähnlicher Krankheiten erfolgt (natürliche Krankheit vs. ähnlicher mittelinduzierter Krankheit).

Im nächsten Kapitel werden die Begriffe Erst- und Nachwirkung homöopathischer Mittel verdeutlicht, wobei noch zwischen kurativer und gegensätzlicher Heilwirkung unterschieden wird. Alles schön nahe am Organon, mit vielen Texteinlagen der entsprechenden Paragrafentexte.

Der Aufbau des Buches in den folgenden 3 Kapiteln schreitet in der Weise fort, dass Dr. Luc so chronologisch wie möglich die Entwicklung der Potenzwahl und des Fallmanagements gemäß der 4. bis 6. Auglage des Organon UND der Chronischen Krankheiten abhandelt.
Sehr eindrucksvoll beschrieben lesen wir hier eine Schilderung, wie sich Dr. Hahnemann Stück für Stück bei der Optimierung seiner Heilmethode vorarbeitete.
Kritisch setzt sich Dr. de Schepper mit der Kentschen Praxis auseinander, die ja auch heute noch sehr verbreitet ist. So manchem Homöopathiedozenten und VHS-Kursleiter würde bei diesen Seiten ein Licht aufgehen. Zumindest solchen, die sich zwar ausführlich mit Kent, aber nur unzureichend mit Hahnemann befasst haben. Solche Lehrkörper musste ich selbst erleben. Sehr sachlich und stets die passenden Referenzen zur Hand, lernt man die Schwächen bzw. Nachteile der frühen Methode der homöopathischen Behandlung.

Wie selten ausführlich und anschaulich erfolgt die Aufarbeitung der Methode der Wasserauflösung des Mittels und der Gabenwiederholung nach der 5. Auflage des Organon. Gerade die praktischen Richtlinien kenne ich ähnlich aufgearbeitet nur von David Little, der ja ebenfalls auf einen riesigen Schatz an praktischer Erfahrung zurückgreifen kann.

Wir lernen auch auf anschauliche Art und Weise, was man unter einer aufgeteilten Gabe (Split-dose-Methode) und einer Weiterpotenzierungsmethode (Plussing-Methode) zu verstehen hat, worin sich beide unterscheiden und was man bei deren Anwendung berücksichtigen muss.

Das nächste Kapitel ist eine Werbeveranstaltung (im positiven Sinne) für die Methoden nach der 6. Organonauflage und für die LM-Potenzen. Dr. Luc räumt mit Vorurteilen, im Buch Mythen genannt, auf, die die Anwendung von LM-Potenzen umgeben. Auch hier sollte so mancher Homöopathielehrer seine Hausaufgaben machen.

Den Abschluss des ersten Buchteils bietet ein Anhang, der eine Anleitung zur Potenzwahl bei chronischen Krankheiten bietet. Als Anhaltspunkt für die richtige Potenzwahl dient eine Einteilung der Patienten nach Empfindlichkeitsgraden (1-1000), wie sie David Little auf http://www.hpathy.de/papersnew/little-comparing-scales.asp näher erläutert.

Seinen Erfahrungsschatz jedoch spielt de Schepper erst im 2. Kapitel des Buches so richtig aus. Einen wahren Könner zeichnet es aus, schwierige, komplexe Zusammenhänge kompakt, vollständig und dennoch gut verständlich darzustellen. Dies gelingt dem Autor beim Fallmanagement überzeugend gut, bedenkt man, wie unterschiedlich Behandlungen von Patienten angegangen, kontrolliert, abgestimmt und abgeschlossen werden müssen.

Damit man versteht, wovon hier gesprochen wird, versuchen Sie einmal die Zusammenhänge zwischen zusätzlichen Symptomen, Nebensymptomen, Verschlimmerung, dem Fall nicht homöopathisch entsprechende Symptome, nahes und entferntes Simile und einiges mehr ohne Verwirrung zu stiften nebeneinander zu stellen und dennoch inhaltlich zu einem Ganzen zusammen zu führen.

Dr. Luc geht auf häufige Schwierigkeiten bzw. Fehler von Anfängern ein, gibt Tipps, wie man diese erkennen kann und er zeigt auch Lösungen auf. Woran erkennt man am Fallverlauf, dass das verabreichte Mittel das wahre Simillimum war und nicht ein Simile (partielles Simillimum)? Wann soll man das Mittel wechseln? Luc de Schepper ist dafür bekannt, dass er viel die Welt bereist und als Referent in vielen Ländern aktiv ist. Er nimmt sich viel Zeit, sich Fragen seiner Studenten anzuhören und zu beantworten. Ausführlich setzt er sich auch mit Zweifeln und anderen Meinungen und Ansichten auseinander. Wo es angebracht ist, korrigiert er bestehende Mythen und Unwahrheiten durch sein überzeugendes Fachwissen. Themen, die ebenfalls in diesem Buch diskutiert werden, sind das vermischen von Arzneien, Doppelmittel, Sequenzialtherapie, abwechselnder Gebrauch von Mitteln und Behauptungen ausgewählter Autoren. Er zeigt die Ursachen von Unwahrheiten auf, in der Regel Unkenntnis, und rückt die Wahrheiten in das rechte Licht. So wird auch so manchem gestandenen Homöopathen die Erkenntnis nicht erspart bleiben, dass er womöglich selbst, viel zu unkritisch, Erneuerern folgte, ohne zuvor zu prüfen, ob dieser Schritt berechtigt war und vielleicht zu verfehlten Behandlungen führte:
„Der Homöopath ist das erste Heilungshindernis.“ Dies ist der erste Abschnitt zum Thema Heilungshindernisse, die in diesem Werk recht ausführlich besprochen werden. Hier nun ergänzen Beispiele aus der Praxis die Zitate Hahnemanns zu einem gut nachvollziehbaren Komplex. Der Leser wird nach der Lektüre dieses Kapitels diesem Bereich wohl einen größeren Wert beimessen - leben wir doch in Zeiten, in denen der Konsum eine zentrale Rolle spielt, der für unzählige mögliche Heilungshindernisse sorgt, die eine homöopathische Behandlung beträchtlich erschweren oder sogar unmöglich machen können.

Darf man während der Behandlung eines chronisch Erkrankten ein anderes als das „konstitutionelle, chronische“ Mittel verschreiben? Die Antwort gibt Dr. Luc mit den Worten Kents, Hahnemanns und Bönninghausens. Dazu werden chronische von akuten Vorgängen unterschieden, das Vorgehen bei einem akuten Zustand erklärt und dann dargelegt, wie anschließend mit der ursprünglichen Behandlung fortzufahren ist. Dabei wird auch auf Nosoden und die Isopathie eingegangen.

Die größte Aufmerksamkeit im Bereich des Fallmanagements wird der zweiten Verschreibung gewidmet. Dabei werden unterschiedliche Szenarien – Reaktionen auf die Erstverschreibung –und die entsprechend folgenden Herangehensweisen beschrieben. Alles in einfachen Worten und leicht nachvollziehbar. Wie der Leser dies in die Praxis umsetzen wird, steht freilich auf einem anderen Blatt. Eine Supervision in der frühen Praxis wird hierfür sicherlich sehr dienlich sein.

Nach einer Lektion über Arzneimittelbeziehungen beantwortet de Schepper Fragen zum Thema Fallmanagement, die ihm zuvor aus dem Kollegenkreis gestellt wurden.

Abgerundet wird das Buch, das sich bisher weitestgehend mit den theoretischen Belangen beschäftigt hat, mit klinischen Beispielen zum Fallmanagement. Hier kommentiert (beurteilt) Dr. Luc ausgewählte Fälle und bringt uns somit sein Verständnis der Homöopathie noch ein ganzes Stück näher.

Alles in allem haben wir hier ein gut verständlich verfasstes Lehrbuch vor uns liegen. Wenngleich man sagen muss, dass es, trotz aller ausführlicher Erklärungen und Referenzangaben, nicht für den Einstieg in die Homöopathie geeignet ist. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb der Autor Dr. Luc de Schepper wiederholt auf sein Grundlagenwerk „Hahnemann Revisited“ verweist und auf das „Der Weg zum Simillimum“ aufbaut.
Das Buch ist clever strukturiert und kann sowohl als Lehrbuch als auch als Nachschlagewerk dienen.

Die Hauptgründe, weshalb ich dieses Buch jedem, der bereits Vorkenntnisse in der Homöopathie besitzt, uneingeschränkt empfehlen möchte, sind, dass sich dieses Werk ständig auf Referenzen und Quellen bezieht und es viele Zitate enthält. Diese stehen aber nicht lehr im Raum, sondern sie werden vom Buchautor stets dazu verwendet, seine eigenen Aussagen zu untermauern und zu begründen. So kann man die Themen effektiv vertiefen. Außerdem greift de Schepper auf Werke und Schriften anderer Autoren zurück, um diese kritisch zu analysieren und zu kommentieren. Selbst George Vithoulkas und Rajan Sankaran bleiben hiervon nicht verschont. Dennoch, und dies ist heutzutage gar keine Selbstverständlichkeit mehr: Nie kritisiert Dr. Luc eine andere Person. Nur deren Aussagen werden gelegentlich äußerst sachlich und betont unemotional unter Darlegung der Fakten nach deren Schwächen und Fehler durchleuchtet. Wer zum Beispiel in der Vergangenheit Vithoulkas’ „Wissenschaftliche Homöopathie“, heute unter dem Titel „Die Praxis homöopathischen Heilens“ erhältlich, als eines seiner Lerngrundlagen nutzt, findet zum Thema „Zweite Verschreibung“ bei Dr. Luc de Schepper, mehr als bei Vithoulkas, wie man nach dem späten Hahnemann vorgeht, d. h., nach dessen fortgeschrittenen Methoden. Behandlungen gemäß der 4. Auflage haben auch ihren Bereich in der Homöopathie. Aber ausschließlich diese durchzuführen hieße, Hahnemanns späte Erfahrungen ungenutzt zu lassen. Ich finde, beide Bücher vertragen sich gut nebeneinander in einem Bücherschrank, denn keines ist ein vollständiger Ersatz für das andere.

Achtzig Seiten klinische Beispiele zum Fallmanagement bietet dieses Buch zum guten Schluss: Die Beispiele können dazu dienen, das Erlernte anhand von Dr. Lucs Kommentaren zu rekapitulieren und in der konsequenten Anwendung zu sehen. Daran fehlt es leider vielen Lehrbüchern: die Brücke zu schlagen zwischen Theorie und Praxis. Hier haben wir ein außerordentliches Exempel, wie es richtig gemacht wird. „Der Weg zum Simillimum“ wird sich eher früher als später als Standardlehrbuch in der fortgeschrittenen Homöopathie etablieren. So kann in dieser Rezension nur ein einziges Urteil über dieses Buch gefällt werden:

Dr. Lucs Arbeit erhält die uneingeschränkte Kaufempfehlung. In seiner bescheidenen Art, in der der Autor das gesamte Buch über auftritt, entsteht nie der Eindruck, dass sich hier jemand ein Denkmal setzen möchte. De Schepper erscheint als Vermittler guten und reinen Wissens und selbst hierbei fordert er den Leser wiederholt auf, sich seine eigene Meinung zu bilden und sich kritisch mit dem Dargebotenen auseinander zu setzen. Das motiviert den Leser. Mögen bald weitere Bücher dieses Autors in deutscher Sprache erscheinen.